Das Leben in Stille und ständiger Angst

Ricarda-Huch-Schule Kiel 22. November 2017
Milena kennt das Leben mit der noch relativ unbekannten, starken Angststörung aus eigener Erfahrung.©

von Milena Mewes, 15 Jahre

Klasse 9c, Ricarda-Huch-Schule Kiel

Viele Menschen - insbesondere Kinder und Jugendliche, sind schüchtern.Doch ab wann ist
jemand nicht mehr bloß schüchtern, sondern mutistisch- und was ist Mutismus
überhaupt?

Beim Mutismus wird zwischen zwei Arten unterschieden: dem selektiven und dem totalen
Mutismus. Bei der selektiven Form reden die Betroffenen nur mit wenigen,
nahestehenden Personen bzw. schweigen in bestimmten Situationen. Totale
Mutisten hingegen sprechen mit niemandem. Schätzungsweise sind in Deutschland
rund 10 000 Menschen von Selektivem Mutismus betroffen. Der Begriff Selektiver Mutismus (F94.0, Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in der
Kindheit und Jugend) steht für Menschen mit einer Sprechhemmung. Sie können
zwar meistens einwandfrei sprechen, jedoch trauen sie sich aufgrund dieser
Angststörung nicht. Mutisten haben Angst mit anderen Menschen zu reden - oft in
der Annahme, abgelehnt oder missachtet zu werden.

Mutismus beginnt in den allermeisten Fällen im Kindes- und Jugendalter (durchschnittlich
mit drei Jahren bei Eintritt in den Kindergarten). Häufig werden diese Kinder
einfach als schüchtern bezeichnet. Doch wenn die Angst zu sprechen den Alltag
und die soziale Teilhabe beeinträchtigt, ist es sinnvoll genauer hinzusehen.

„Als meine Tochter klein war, übernahm ich automatisch das Sprechen für sie, wenn sie
etwas gefragt wurde. Im Kindergarten war es dann oft eine Freundin, die es ihr
abnahm. Nur hilft man dem Kind damit im Endeffekt nicht wirklich“, berichtet
Birgit H., Mutter einer mutistischen Tochter.

Selektive Mutisten kommunizieren zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung stark. Sobald
jemand Fremdes hinzukommt, verstummen sie allerdings komplett. Auch haben sie
Angst vor manchen Tätigkeiten, wie zum Beispiel schwimmen.                                                                                      
Mutisten haben mit starker Unsicherheit zu kämpfen, wodurch sie in bestimmten
Situationen schweigen. Sie benötigen daher viel Unterstützung und Bestätigung
ihrer Mitmenschen. Für die Betroffenen selbst ist das äußerst belastend. Sie
leben immer mit der Angst, etwas sagen zu müssen und es nicht zu können. „Wenn
ich etwas gefragt werde oder vorlesen soll, bekomme ich immer Herzrasen und
Bauchschmerzen“, so eine 15-jährige Mutistin. Außenstehende wie Mitschüler
verstehen das Schweigen oft nicht. Nicht-Antworten und das Meiden von
Blickkontakt wirken auf sie häufig wie Desinteresse.

Doch sehnen sich mutistische Menschen besonders nach Freunden und Menschen, die sich für
sie interessieren. Sie fühlen sich oft alleine und aufgrund des mangelnden
Selbstbewusstseins oftmals auch wertlos.                                                                             
Dadurch bekommen einige Menschen mit diesem Problem zudem Depressionen
oder Suizidgedanken. „Ich habe lange Zeit keinen Sinn im Leben gesehen", erzählt die Betroffene.

Auch für Angehörige eine schwierige Situation, denn sie wissen nicht, wie sie mit dem
mutistischen Kind umgehen sollen. Manche bevormunden es und übernehmen
sämtliche Aufgaben für das Kind, wie zum Beispiel ein Eis bestellen. Doch
gerade das ist nicht förderlich, denn auch wenn diese Situationen äußerst
unangenehm sind, übt es sie damit und es wird langsam einfacher. „Mittlerweile
kann ich jedes Mal antworten - wenn auch leise, ich schaue nicht mehr auf den
Boden, sondern versuche möglichst laut zu sprechen.“ berichtet eine Betroffene
nach 12 Jahren Behandlung.

Kommt der Verdacht auf, dass ein Kind unter selektivem Mutismus leiden könnte, sollte man
sich zunächst an den Kinderarzt wenden und danach eine Diagnostik beim
Psychiater oder Logopäden machen lassen. Wichtig ist, dass man sich
qualifizierte Hilfe sucht. Dies gestaltet sich oft sehr schwierig, weil sich
nur wenige Ärzte und Therapeuten mit dem Thema auskennen. Generell gibt es dann
verschiedene Möglichkeiten, wie Logopädie, Psychotherapie oder
Verhaltenstherapie. Unterstützend wird manchmal auch zu Antidepressiva geraten,
die die Angst mindern können.

Selektiver Mutismus entsteht so gut wie immer durch eine genetische Veranlagung und wird
durch zusätzliche belastende Faktoren ausgelöst. Er entsteht, nach jetzigen
Erkenntnissen, nicht durch traumatische Erlebnisse.

Unter Mutismus leiden deutlich mehr weibliche als männliche Personen.

Informationen gibt es auch im Internet unter:

www.mutismus.de

www.selektiver-mutismus.de

www.mutismus.net

 
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