Ruben von Keitz
10 c, Gymnasium Lütjenburg
Interview mit Thomas Schirma, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen. Schirma arbeitet seit vielen Jahren mit straffällig gewordenen Hooligans und unterstützt ihre Resozialisierung.
Herr Schirma, Sie kennen sich mit der Hooliganszene, vor allem im Dortmunder Raum, aus. Was ist ein Hooligan?
Thomas Schirma: Hooligan ist eine gewalttätige, subkulturelle, männlich dominierte Gesellschaftsform, welche sich in den 80er Jahren entwickelt hat und mittlerweile aus zwei verschiedenen Formen besteht.Die traditionellen Hooligans kommen meistens aus der Kampfsportszene und gelangen irgendwann an den Punkt, wo sie nicht nur trainieren sondern ihr Können auch anwenden wollen. Vielen geht es auch darum, sich durch Gewalt selbst zu spüren. Diese klassische Form der Hooligans. Sie treffen sich auf dem sogenannten Acker. Acker steht dabei für einen abgelegenen Ort, wo sie mit ihren Aktionen kein Aufsehen erregen. Sie verabreden sich dort mit anderen Hooligans in vergleichbarer Stärke, mit denen sie sich „auf Augenhöhe" auseinandersetzen können. Sie schlagen sich, ohne Waffen, bis einer am Boden liegt und der Kampf so beendet ist. Die neuere Form der Hooligans, die modernen Hooligans, sind gewaltbereite Straßenkämpfer aus sozial schwachen Milieus, die Gewalt ritualisieren wollen. Sie sind Selbstdarsteller, die durch gewonnene Kämpfe Anerkennung gewinnen wollen.
Wer bewegt sich in der Hooliganszene?
Bei den traditionellen Hooligans sind es alle möglichen Leute aus allen Bildungsklassen und Gesellschaftsschichten, die unter der Woche ganz normal arbeiten und vielleicht auch Familie haben. Meist sind es Männer zwischen 20 und 35 Jahren, die im Kampfsportbereich aktiv sind. Bei den modernen Hooligans kommen viele aus den unteren Bildungsschichten und sind häufig in ihrer Jugend selber Opfer von Gewalt geworden. Viele von ihnen haben kaum Familie und Freunde und ersetzen dies quasi durch die Kameradschaft in ihrer Gruppe. Diese Gruppendynamik ist auch der Grund, warum hier besonders viele junge Leute zu finden sind. Die meisten sind zwischen 16 und 25. Es gibt auch oft Verbindungen in die Rocker- und Neonazi-Szenen.
Wie werde ich denn Teil dieser Szene?
Du wirst mitgenommen, durch Leute, die für dich bürgen. Das heißt, dass du natürlich verpflichtet bist, zum Beispiel nicht mit Strafverfolgungsbehörden zusammen zu arbeiten. Du wirst nur mitgenommen, wenn da jemand ist, der sagt: Man kann sich auf dich verlassen.
Was bedeutet es für den eigenen Alltag, ein Hooligan zu sein?
Es gibt den traditionellen Hooligan, der durchaus ein bürgerliches Leben führen kann - und das „normale Leben" ist eine wichtige Basis für ihn. Er kann durchaus verheiratet sein, lebt mit einer Freundin zusammen, macht einen normalen Job oder studiert. Sie sind in ihrem Selbstverständnis auch nie Leute, die abends in eine Kneipe gehen und eine Wirtshausschlägerei anfangen. Das ist die eine Gruppe und die musst Du ganz klar unterscheiden von bestimmten Hooligan Subkulturen, die häufig aus Schlägermilieus kommen. Die verabreden sich auch für Schlägereien, auch für Hooligan-Schlägereien, für die Gewalt aber ein viel alltäglicheres Muster ist. Der große Unterschied ist, dass die zweite Gruppe oft im Konflikt mit dem Gesetz ist. Die haben oftmals Anzeigen, wegen
Körperverletzungsdelikten. Und das sind viele Hooligans, die ich dann im Gefängnis sehe.
Ist es denn für beide Gruppen so, dass es automatischKonflikte mit dem Gesetz gibt?
Körperverletzungsdelikte sind Straftaten, von daher kann man sagen, dass alle Hools eigentlich im Konflikt mit dem Gesetz sind. Bei den einfachen Körperverletzungen ist allerdings ein Anzeigeverhalten des Opfers nötig. Bei schweren oder gefährlichen Körperverletzungen braucht Dein Opfer Dich nicht
anzuzeigen, da klagt der Staat Dich an. Anzeigen sind in der Szene aber nicht üblich. Also wäre der Konflikt erst gegeben, wenn es sich um eine schwere Körperverletzung handelt und der Staatsanwalt eingreift. Außerdem ist es bei den traditionellen Hools so, dass es kaum schwere Körperverletzungen gibt, weil es da ja gewisse Regeln gibt und zum Beispiel nicht nachgetreten wird, wenn einer am Boden liegt. Die modernen Hools attackieren ja aggressiver, tragen teilweise Waffen und schlagen sich nicht nur untereinander, sondern attackieren durchaus auch Unbeteiligte, vielleicht sogar Passanten.
Erklären Sie uns bitte einmal, wie so eine Auseinandersetzung funktioniert?
Die Auseinandersetzungen funktionieren nach dem sogenannten Schwarmverhalten. 20 oder 30 Leute laufen aufeinander zu um sich die „Fresse" einzuhauen und Schwarmverhalten bedeutet, dass der Einzelne es nicht mehr steuern kann, sondern einfach mitrennt. Ich hab mal mit einem Hool gesprochen und ihm gesagt: „Du hast schon so viele Anzeigen. Wenn Du nochmal geschnappt wirst, dann drohen Dir drei Jahre Haft. Das nächste Mal, wenn Ihr hinterm Stadion loslegt, vielleicht wieder Polizisten angreift, dann denk doch mal drei Sekunden nach, bevor Du loslegst". Da hat er geantwortet: „Diese drei Sekunden hab ich nicht – dann ist der Schwarm weg, dann hab ich den Kontakt zur Gruppe verloren". Er muss sich aber natürlich eigentlich die Frage stellen: Will ich einen normalen Job machen, will ich Abitur machen und studieren? Nach drei Jahren Haft, kannst Du das knicken.
Wie definieren Sie den Unterschied zwischen Hooligans und Ultras?
Die traditionellen Ultras sehen sich selber als die wahren Fußballfans. Als die, die ihr Leben an den Interessen und den Gefühlen für einen Fußballverein ausrichten. Die stundenlang Choreographien einüben, Banner malen; also die ganze Woche zum Beispiel in Dortmund schwarz-gelb sind. Die wollen auch keine Hooligans haben,arbeiten aber auch nicht mit den Sicherheitsbehörden zusammen und decken die Straftaten der Hooligans sogar manchmal – also manchmal sogar bildlich decken, indem sie ihr Banner davor halten. Die größeren Ultrabewegungen, wie in Dortmund zum Beispiel Unity, sind unpolitisch und einfach nur Ultras. Das sind keine Hooligans.
Ist die Hooliganszene eine Einbahnstraße oder gibt es doch einen Weg da raus?
Je länger Du drin bist, desto schlechter kommst Du aus der Szene wieder raus. Denn es wird immer schwieriger eine neue Identität aufzubauen. Ein Beispiel ist sicher „SS-Siggi", also Siegfried Borchardt, der ewig die Borussenfront angeführt hat. Den kennt jeder in Dortmund und auch überregional viele. Der kommt aus dieser Zuordnung zu der Szene und daraus, Gallionsfigur der Szene zu sein, nicht mehr raus. Zweitens: Je länger du in der Szene bist, desto mehr gehört es zu deinem Verhaltensrepertoire. Gewalt ist ein gelerntes Kommunikationsmuster. Wenn Du hunderte Schlägereien hinter Dir hast und gewohnt bist Konflikte mit Gewalt zu lösen, wenn Gewalt zu einem Muster, zu einem Automatismus geworden ist, dann kannst Du nicht auf einmal sagen: Ich mach das nicht mehr. Für viele ist es also eine Einbahnstraße. Die, für die es ein Wochenendritual ist, die also unter der Woche ein völlig normales Leben führen, also die traditionellen Hools, bei denen funktioniert der Weg raus deutlich besser!
Herr Schirma, ich danke Ihnen für das Gespräch.