Bin ich zu dick?

Schülerin aus Kiel 20. November 2019 2 Kommentar(e)

von Leonie Buttler (Name geändert)

Ich muss dünn sein, um hübsch und attraktiv zu wirken.
Ich darf nicht dick sein. Ich muss dünn sein,
um etwas wert zu sein!!!

Ich bin zu dick. Ich darf nicht mehr essen, sonst werde ich noch dicker. Wer will schon so etwas wie mich haben? Ich bin es doch einfach nicht wert, ich werde nie so gut sein wie die anderen, ich werde niemals so schön sein wie die anderen, ich werde, wenn ich weiter so hässlich bleibe, niemals irgendwem etwas bedeuten. Ich kann das alles nicht mehr, warum kann ich nicht auch so schön dünn sein wie die anderen? Warum kann ich nicht so perfekt sein? Warum kann ich das nicht? Das sind die Gedanken, die mein Leben für über zehn Monate bestimmten, kontrollierten und mein Leben nicht mehr lebenswert machten. Diese Gedanken sind Teil meiner Erkrankung, einer Erkrankung, die mich fast mein Leben kostete. Hallo, ich bin ein15-jähriges Mädchen und habe Anorexie, besser bekannt als Magersucht. Doch was macht diese Krankheit eigentlich mit dir? Wie lässt sie dich denken?
Wie lässt sie dich fühlen? Und wie viel Lebenslust nimmt sie dir?

Ein Apfel und eine Karotte ist das, was ich am Ende kombiniert mit drei Stunden Sport mir noch erlaubt habe zu essen. Nach dem Essen habe ich mich als scheußlich abstoßend empfunden, da ich etwas gegessen hatte, was ich doch gar nicht hätte essen müssen. Ich habe zu viel gegessen! Ich werde zunehmen, ich werde dick werden! Ich muss morgen weniger essen und mehr Sport machen, um das, was ich heute zu viel gegessen habe auszugleichen. Das sind die Gedanken, die mich die ganze Zeit umgaben. Sie brachten mich soweit, dass ich jeden Tag um vier Uhr morgens aufstand, um mein Sportpensum von drei Stunden mit 30 Minuten Planks zu verwirklichen. Aber dieses Pensum war eher ein Minimum, da es nach oben für mich keine Grenzen gab. Der erste Blick morgens ging zum Spiegel: Vergleich meines Körpers zwischen gestern und heute. Enttäuscht und geschockt der festen Überzeugung, zugenommen zu haben, fing ich mit meinen ersten sechs Minuten Planks als Aufwärmung für das eigentliche Training an. Von den Gedanken geplagt, die die Anorexiestimme in meinem Kopf verursachte: Großartig! Du hast zugenommen! Du hättest gestern nicht so viel essen dürfen! Du hättest mehr Sport machen müssen! Warum bist du bloß so schwach und schaffst diese einfachen Ziele nicht? Der Timer war das, was mich aus diesen Gedanken holte. Danach ging es dann für zwei Stunden weiter mit dem eigentlichen Training. Während des Trainings fing ich in Gedanken schon mal an, den Tag zu planen. Um einen "guten Tag" zu haben, war es wichtig, das Sportpensums zu erfüllen und weniger zu essen als am Vortag. Dazu stellte ich mir während des Trainings immer wieder die Fragen: „Wie kann ich das Essen vermeiden? Wie schaffe ich mein Sportpensum? Wie kann ich noch weniger essen als gestern, ohne dass es jemand merkt?" Diese Gedanken sind das, was dich anspornt in dieser Krankheit. Du willst dir selbst beweisen, dass du was kannst, dass du nicht zu schwach bist, um die einfachsten Ziele zu erfüllen.

Das Verrückte ist, dass während dieser gesamten Zeit zwei Stimmen in meinem Kopf gegeneinander ankämpften. Die eine Stimme war mein Verstand, der mir die ganze Zeit sagte, dass ich nicht dick werden würde, wenn ich normal essen würde. Dass das, was ich im Moment esse zu wenig ist. Dass das Ganze, was ich hier gerade betreibe, nichts außer dumm und reiner Selbstzerstörung ist. Dass, wenn ich so weiter mache, es schlimm enden wird. Dass der Haarausfall und das Ausbleiben der Tage ungesund sind und ich mir helfen lassen sollte, damit nicht noch mehr passiert. Doch diese Stimme flüsterte im Vergleich mit der anderen in meinem Kopf nur ganz leise und schwach vor sich her. Während die zweite Stimme, die Anorexiestimme in meinem Kopf herum brüllte. Sie sagte mir, dass ich keinen Hunger habe, da ich ja genug esse. Sie sagte mir, dass das Ausbleiben der Tage und der Haarausfall schon mal vorkommen können und dass ich mir um diese normalen Sachen keine Sorge machen sollte. Sie sagte mir, dass diese Sachen unnötig seien. Ich sollte mich von diesen normalen und harmlosen Sachen nicht ablenken und beeinflussen lassen. Da ich meine gesamte Aufmerksamkeit und Energie lieber auf das Ziel richten sollte. An oberster Stelle standen bei dieser Stimme nicht die Gesundheit und Logik wie beim Verstand, sondern nur das Ziel, nicht dick zu werden. Diese krampfhafte Angst, dick zu werden, war alles, was diese Stimme anspornte und sie so groß in meinem Kopf schreien ließ. Das Ziel, nicht dick zu werden, war für mich in diesem Moment wichtiger als Gesundheit und Freiheit. Diese Stimme sagte mir, wenn ich abends hungrig ins Bett ging, dass ich etwas geschafft habe. Das Gefühl mit leerem Magen einzuschlafen, meine Hüftknochen, Rippen und Schulterblätter zu sehen, erfüllte mich mit Stolz. Diese Stimme brachte mich dazu, dass ich mich in zehn Monaten von einem 75kg wiegenden, glücklichen und gesundem Mädchen zu einem 55kg wiegenden Suizid gefährdeten Mädchen entwickelte. Und trotz dieser Umstände sagte die Stimme mir, dass ich stolz auf das sein könne, was ich geschafft habe.

Allerdings wurde es mit jeden Tag schwerer aufzustehen, den Sport zu machen und nicht zu essen, da mein Körper nicht mehr konnte. Durch das Hungern wurde ein riesiger Nährstoffmangel ausgelöst, der mich schlapp und kraftlos machte. Das Einzige, was mich in diesem Moment weitermachen ließ, war die von der Anorexiestimme aufgezwungene Disziplin. Das Hungern geht natürlich nicht auf ewig gut, irgendwann war mein Körper so geschwächt, dass mein Kreislauf zusammenbrach. Ich sah schwarze Punkte vor den Augen nach schnellem Aufstehen, Sport oder einfach beim Gehen. Mein gesamter Kopf drehte,sich, ich sah nichts mehr, mir wurde schlecht und alles, was ich in diesen Momenten versuchte, war, mich irgendwie aufzufangen, um nicht hart auf den Boden aufzuschlagen. Und dennoch gewann die Anorexistimme immer wieder über die Stimme meines Verstandes. Die Angst, dick zu werden, gewann immer wieder über die Aussicht auf ein glückliches, freies und sorgenloses Leben, in dem sich nicht alles ums Essen drehte.

Nach sechs Monaten des Hungerns blieben die schnellen Erfolge, die am Anfang kamen aus, da mein Körper anfing, sich immer mehr zu wehren. Er versuchte alles, was ich ihm noch gab, so lange, wie es ihm möglich war, einzulagern, um einen weiteren Gewichtsverlust zu verhindern. Diese Sache machte mich fertig, da meine Familie anfing zu merken, was mit meinem Essverhalten los war, und mich bat zu essen. Sie achtete sehr stark auf mein Essverhalten, was mich sehr unter Druck setzte. Der Druck brachte mich zum Beichten über das, was los war. Ich dachte, dass ich das Problem erkannt habe. Wir gingen ins ZIP, wo ich ein Gespräch mit einem Therapeuten hatte. Da ich behauptete, aufgewacht zu sein, beschlossen wir, es erst einmal ambulant mit einem Essensplan zu versuchen und auf eine stationäre Behandlung zu verzichten. Mit diesem Essensplan sollte ich erstmal den Bedarf, den meine Organe brauchen - den Grundbedarf - abdecken. Mit diesem Plan hätte ich immer noch Gewicht verloren, da diese Menge von Kcal nur meine Organe und nicht meine Aktivitäten abdeckte. Dennoch ignorierte ich diesen Plan, da die Anorexiestimme in meinem Kopf diesen Plan gekonnt als unnötig einstufte und es vorzog, diesen zu ignorieren. Mir erschien selbst dieser Grundbedarf als unnötige Kcal, die ich nicht brauchte. Man kann also sagen, dass ich zu diesen Zeitpunkt noch nichts eingesehen hatte. Meine Familie merkte, dass ich den Plan nicht beachtete und reagierte sofort. Sie versuchten mein Essen zu kontrollieren und mich zum Essen zu zwingen. Aber durch die Tatsache, dass mein Körper angefangen hatte das Essen einzulagern, fühlte ich mich nach der kleinsten Portion überfüllt. Dies schlug mir so auf die Psyche, dass ich noch mehr Sport machte und anfing Medikamente gegen Völlegefühle zu nehmen.

Nach sieben Monaten war ich nur noch ein einziges Nervenbündel, das nach außen zu funktionieren versuchte. Ich versuchte eine glückliche Fassade zu bewahren. Die Anorexiestimme zwang mir immer wieder ihren Willen auf und gab mir das Gefühl, nie genug zu sein. Ich fing an keinen Sinn mehr zu sehen. Wenn ich in den Spiegel sah, sah ich eine Person, die niemals etwas wert sein wird, eine Person, die niemals so schön dünn sein wird wie die anderen. Eine Person, die es nicht wert ist, zu existieren. Eine Person, die niemand vermissen würde. Ich stellte mir die Frage, warum sollte ich weiter leben, wenn ich niemals etwas wert sein würde? Für wen sollte ich leben, wenn mich niemand vermissen würde? Die Stimme ließ mich alles Positive ausblenden, sie ließ mich die Sorgen meiner Familie und meiner Freunde vergessen. Sie sagte mir, dass ich es doch endlich beenden solle. Ich fühlte mich so alleine und wertlos, dass ich mir einen Stift nahm und einen Brief schrieb, in dem ich alles erklärte. Ich legte diesen Brief auf unseren Esstisch und ging Richtung Haustür. Als ich die Türklinke in die Hand nahm und die Tür öffnete, um meinen ersten Schritt zu machen, schrie nicht mehr die Anorexiestimme, sondern mein Verstand. Dieser gewann das erste Mal seit sieben Monaten die Überhand und hielt mich auf. Ich wachte in diesem Moment auf und realisierte, was passiert war, wie dünn ich eigentlich geworden war, und ich sah, was ich mir selber angetan hatte. Wäre das nicht passiert, wäre ich nicht aufgewacht, wäre ich jetzt nicht mehr hier. Ich holte den Brief vom Tisch und ging in mein Zimmer. Für zwei Stunden saß ich einfach nur weinend da und ließ die letzten Monate auf mich einwirken. Nachdem ich das getan hatte und sah, dass ich das nicht alleine schaffe, beschloss ich mir helfen zu lassen. Ich nahm all meinen Mut zusammen und schrieb meiner Mutter, dass ich in die Klinik möchte, um mir professionelle Hilfe zu holen. An dem Tag schrieb ich nach Absprache mit meiner Mutter dem Therapeuten eine E-Mail, in der ich um einen Klinikplatz bat. Zwei Tage nach dieser E-Mail ging ich auf Station.

Das Ganze ist jetzt zehn Wochen her, inzwischen bin ich wieder entlassen und die Anorexiestimme ist nun die Stimme, die flüstert. Ich bin noch nicht geheilt, das dauert mehr als zehn Wochen und das weiß ich auch, aber zu sehen, wie sich das Bewusstsein von mir in nur zehn Wochen so zum Positiven verändert hat, gibt mir Hoffnung, die Anorexiestimme irgendwann gar nicht mehr zu hören. Es ist zwar noch ein langer Weg, aber ich weiß, dass es sich lohnt! Ich bin wieder glücklich, weil sich nicht mehr alle meine Gedanken um mein Aussehen und Gewicht drehen. Da ich jetzt nun wieder anfange zu sehen, dass es so viel mehr im Leben gibt als Essen und das Gewicht. Es ist komplett egal, wie viel man wiegt, solange man glücklich ist. Und sein wir mal ehrlich, perfekt zu sein, ist auch irgendwo langweilig. Es sind die Macken an etwas oder an jemandem, die man schätzt. Ich möchte mit meiner Geschichte andere davor bewahren und Betroffenen Mut machen. Gebt bloß nicht,auf ihr seid nicht das Opfer eurer Erkrankung, ich weiß, dass ihr sie besiegen könnt. Sprecht mit jemandem darüber, wenn ihr merkt, dass ihr gezielt weniger esst. Ich weiß, es ist schwer, sich das einzugestehen, aber es wird helfen. Ihr werdet euch vielleicht nicht sofort besser fühlen, aber ihr werdet euch früher oder später besser fühlen, da euch so viele Sorgen genommen werden. Falls ihr Angst davor habt, ist das verständlich aber lasst euch eins gesagt sein: Ihr werdet es nie bereuen, euch Hilfe geholt zu haben. Ich dachte am Anfang, dass es schwach ist, sich Hilfe zu holen, aber das ist es nicht, es ist eine der stärksten Sachen, die man machen kann, da man zu sich selbst ehrlich ist. Ich weiß, dass es schwer ist, aus dieser Spirale rauszukommen, aber es ist möglich, ihr müsst es nur wollen.

Ich möchte Ihnen allen, die das lesen, hier mit auf dem Weg geben, dass man nicht dünn sein muss, um glücklich zu sein. Menschen werden euch nicht anders behandeln, nur, weil ihr dünner seid, weil das, was wirklich zählt, der Charakter ist. Falls ihr mir nicht glauben wollt, fragt eure Freunde, ob es für sie irgendeinen Unterschied machen würde, wenn ihr dünner oder dicker wärt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ihnen egal wäre, solange es eure Gesundheit nicht beeinträchtigt. Und wenn es ihnen nicht egal wäre, dann tut es mir leid, dass so zu sagen, aber dann sind es keine richtigen Freunde, wenn sie euer Aussehen über den Charakter stellen. Mache weder deinen noch den Wert von irgendeinem anderen Menschen an Gewicht oder am Aussehen fest. Denn selbst der schönste Mensch der Welt kann eine hässliche Schlange sein. Behaltet das immer im Hinterkopf.

 

 
2 Kommentar(e)
  1. Anton
    28. November 2019

    Obwohl ich dir in sehr vielen punkten zustimme, dein schreibstil mehr als nur loben kann gibt es aber ein paar sachen die ich recht unrealistisch/unlogisch finde. Menschen werden dich beurteilen aufgrund deines ausehens, ob du fett bist oder dünn, oder ob du von denen als hässlich oder schön "eingestuft" wirst und mann wird von denen anders behandelt. du wiedersprichts dir sogar selbst indem du meinst das Menschen einen nicht aufgrund ihres ausehen nicht anders behandeln, aber dafür im ein satz später meinst du dass die die sowas sagen/machen eben keine richtigen freunde sind. Und da sind wir beim nächsten thema, du meinst das Freunde einen nicht anders behandeln weil du dick bist aber nicht jeder auf der welt ist dein freund! Menschen sind sehr voreingenommen und das kann man schlecht ändern. Deine mesage die du überbringen wolltest finde ich sehr gut aber ich finde der Schlussatz war einfach nur albern!
  2. Reinhardt Meier
    2. Dezember 2019

    Zwar finde ich deinen Artikel gut, jedoch ist manches nicht überdacht und unreal. Manchmal wieder sprichst du dir selber. Das Thema welches du aufgegriffen hast ist in dieser Generation wichtig und sollte Ernst genommen werden. Das hast du gut gemacht! Den Schlusssatz hättest du dir sparen können da er albern und überflüssig ist. Liebe Grüße von Reinhardt aus Kiel!

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