Ein Seniorenheim mit Licht- und Schattenseiten

Klasse 8a (Ricarda-Huch-Schule) 20. November 2019 1 Kommentar(e)

Vor dem dunklen Himmel ragt ein großer Gebäudekomplex empor. Wenn man die Glastür öffnet, riecht es neu. Die Wände sind hellblau und weiß gestrichen, an ihnen ist mittig ein Geländer aus hellem Holz angebracht. Wer jetzt an ein Krankenhaus denkt, der liegt nicht ganz falsch. Dieses Gebäude heißt Haus Rehmgarten und kann Wohnraum für über 70 Senioren bieten.
Hier gibt es 31 vollstationäre Einzelzimmer, zwei Wohngruppen für jeweils zwölf pflegebedürftige Senioren, 23 Wohnungen mit Service und 16 Tagespflegeplätze. Sechs Jahre hat der Bau gedauert, zwölf Millionen Euro wurden investiert.
Frau Burghart freut sich über den Besuch. Sie sei vom Trüffelmachen erschöpft und habe sich kurz hingelegt, sagt sie bereits in ihrem Eingangsbereich voller Blumen. Im Wohnzimmer gibt es selbstgebackene Kekse. Sie sitzt in einem blauen Sessel, der die zierliche Frau zu verschlucken scheint, vor einem noch größeren Bild und erzählt. Als ihr Mann vor drei Jahren starb, fiel sie in ein Loch aus Trauer und Resignation. Der Garten, der sich jeden Frühling wieder in ein Paradies verschiedenster Blumen verwandelt, und das bis zum Dach mit Antiquitäten gefüllte Haus verloren ihren Reiz. Es ist viel zu groß und macht zu viel Arbeit.
Ihre Therapeutin, die sie nach dem zweiten Schlaganfall wieder hergestellt hat, erzählte ihr eines Tages, dass in Heikendorf Haus Rehmgarten gebaut werde. Hört sich doch toll an: „In das Gebäude integriert sind ein Restaurant, ein Gesellschaftsraum mit Dachterrasse und weitere Gemeinschaftsräume wie Gymnastikraum, Friseur- und Fußpflegebereich", steht in der Broschüre. Sie möchte in eine der „21 barrierefreien Wohnungen mit einer komfortablen Einbauküche und eigenem Duschbad, teilweise mit eigenem Balkon oder einer Dachterrasse mit Fördeblick" ziehen, denn das ist doch genau das Richtige für ihre Situation.
Als sie das erste Mal in der Wohnung mit Terrasse und Fördeblick im vierten Stock steht, ist sie entsetzt. Das soll ihr Zuhause sein? Ihre Küche zu Hause ist so groß wie das, was bald ihre Küche, ihr Wohn- und Esszimmer sein wird. Und welche Möbel soll sie mitnehmen? Ihre Tochter hat ihr die Wohnung und ihre schönsten und liebsten Möbel im gleichen Maßstab gezeichnet. Das Ergebnis überrascht nicht: Es passt nicht. In dieser Puppenstube wird sie bald wohnen? Wie soll das gehen? Und vor allem - will sie das wirklich? Wie entrümpelt man 80 Jahre, ein ganzes Leben und zieht ein letztes Mal um? „Kann ich nicht einfach sterben, dann muss ich hier nicht hinziehen?" fragt sie verzagt, als sie geht.
„Die Kleinheit der Einheiten in der Tagespflege, den Wohngemeinschaften und der stationären Pflege gibt den Bewohnern und Gästen ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit", verspricht die Stiftung Kieler Stadtkloster, die acht stationäre Einrichtungen in Kiel betreut.
Klein wirkt es vor allem auf die direkten Anwohner nicht, im Gegenteil: wegen der massigen Bauweise gibt es aus der Nachbarschaft schon heftige Kritik. Sie klagen über Verschattung und den Werteverlust ihrer Immobilien. „Das Projekt ist nicht unumstritten. Aber ich bin guter Dinge, dass die Akzeptanz solcher Einrichtungen in Zukunft steigen wird, weil der Bedarf einfach da ist", erklärt Heikendorfs Bürgermeister Tade Peetz (CDU) zur Eröffnung. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass es trotz einer massigen Bauweise zu wenige Pflegeplätze gibt.
Frau Eckig empfängt mich freundlich in ihrem kleinen aber sehr gemütlichen Zimmer in der Wohngemeinschaft „Jolle". Seit ungefähr zwei Wochen wohnt sie hier und bisher gefällt es ihr. „Ich hab über 20 Jahre in meinem Haus mit Garten und allem Pi-Pa-Po gelebt. Ich hab immer gedacht: ‚Christa, das schaffst du schon', aber ich hab's dann nicht geschafft und war auch fix und fertig dann zum Schluss, also da bin ich ein bisschen zusammen geklappt, das ist jetzt ein gutes Jahr, eineinhalb Jahre her, und da bin ich dann erst in die Klinik gekommen und von der Klinik zur Kurzzeitpflege nach St. Anna", erzählt die 85-jährige über ihren Werdegang. Sie erzählt weiter, dass es ihr dort sehr gefiel und sie bleiben wollte. „Aber St. Anna ist ein Pflegehaus, wo man eben nur mit Pflegestufe zwei wohnen kann, und ich hab nur eins und dann wurde bei mir die zwei beantragt und dann bin ich geprüft worden und das hat man dann abgelehnt." Sie legte Wiederspruch ein, aber geklappt hat es nicht. Dann erfuhr sie durch ihre Schwiegertochter, dass Haus Rehmgarten gebaut wird. Jetzt hat sie ein Zimmer in einer Wohngruppe. „Die Vorstellung ist, dass wir uns quasi so selbst versorgen."
Bisher steht eine der beiden Wohngruppen leer, die andere ist zu einem Drittel belegt.Von außen ist höchstens ein Drittel beleuchtet, aber Susanne Klemm erklärt bei der Eröffnungsfeier: „Wir können mit der Erstbelegung sehr zufrieden sein und haben bereits ab November eine gute Auslastung." In fast allen Bereichen gäbe es lange Wartelisten.

Frau Burghart hat ihren besten Freunden ihre neue Wohnung gezeigt. Ihnen ist es nicht gelungen, sich angemessen zu verstellen, sie waren zu geschockt. Nach dieser Reaktion hat sie sich dazu entschieden, sich eine Pflegekraft ins Haus zu holen. Der Umzug ist abgesagt, sie hat die Schlüssel abgegeben. Seit sie diese Entscheidung ausgesprochen hat, ist sie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder fröhlich.

 

Eine Reportage von

Nina Datsogiannis (Klasse 8a, Ricarda-Huch-Schule)

 
1 Kommentar(e)
  1. Maasackers
    20. November 2019

    Ein toll geschriebener Beitrag. Liebe Grüße die Therapeutin

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