Der Absolutismus der Medien

Bente Morgenstern 12b (RBZ am Königsweg) 15. November 2020
unsere alltägliche Mediensucht © Bild von Thomas Ulrich auf Pixabay

Medien- jeder kennt sie, jeder will sie, jeder hat sie. Überall verstecken sich die kleinen Untertanen der Medien. In der Öffentlichkeit, im privaten Haushalt und ja, sogar auf der Toilette, auf der die 17-jährige Anja gerade sitzt. Statt in der Wirklichkeit zu bleiben, verschwindet sie lieber in die Atmosphäre des neuen Instagram- Posts von Julia. Klar, die großen Palmen mit Hängematten und Blick auf das kristallklare Meer auf Malle sind ja auch irgendwie cooler als die blauen Kacheln mit bloß aufgemalten Delphinen an ihrer Wand im Badezimmer. Fertig gemacht für die Außenwelt, ist Anja bereit, sich der täglichen Wirklichkeit zu stellen.


Hinaus aus ihrer virtuellen Atmosphäre und hinein ins wahre Leben. Anja geht wie jeden Tag genervt zur Schule. Kaum tritt sie vor die Haustür, kehrt sie direkt wieder um und knallt die Tür zu. Es ist kalt. Die wärmenden Gedanken des Malle- Posts sind plötzlich verschwunden. Sie holt sich genervt einen Schal und wagt einen neuen Versuch vor die Haustür. Besser. Doch kaum ist sie erneut draußen, trübt sie der erbärmliche Ausblick. Bäume, dessen Blätter der Wind gefressen hat, Kälte, welche die Automotoren zum Demonstrieren angezettelt hat und Menschen, die man dank der dicken Bekleidung überhaupt nicht mehr erkennen kann. Traumhaft. Wo ist das Flugzeug nach Malle, wenn man es braucht?


Komplett gefrustet in der Schule angekommen umarmt sie ihre wie immer perfekt gestylte Freundin Marie. Wow, so ein perfekter Lidstrich, nicht eine Haarsträhne sitzt am falschen Fleck und ihre Nägel sind einfach ein Traum. Schon wieder diese verdammten Delphine darauf. Sie kann durchgehend Selfies machen und sieht perfekt darauf aus! Privat treffen sich die beiden nicht mehr. Sie waren mal beste Freundinnen, aber mittlerweile ist abhängen uncool geworden. Man chillt lieber als Couchpotato auf dem Sofa zu Hause vor seinem Handy. Apropos! Jeder Schüler und jede Schülerin hockt hier vor seinem Smartphone. Keiner tauscht sich aus, keiner redet, alle geben nur zwischendurch ein schelmisches Lachen von sich, weil sie einen lustigen Spruch auf Facebook gesehen haben.


Endlich kommt Herr Paschke in den Klassenraum. Wie immer 10 Minuten zu spät. „Kann mal jemand das Whiteboard einschalten?" ertönt aus seinem komplett mit Bart bewachsenem Mund. Bäh, ekelhaft! Das Whiteboard allerdings streikt mal wieder. Alles, was es zu sagen hat, ist Error. Immer diese Scheiß-Technik! Anja fragt sich, wann die Schule endlich die neuen Whiteboards bekommt. Das kann schließlich nicht so schwer sein. Sie bestellt ja auch mal fix einen neuen Rock bei Zara mit zwei Klicks online. Wie hilflos diese Schule ist, erkannte auch Cathrin Kahlweit, welche die große Hilflosigkeit von Schulen in Bezug auf Medien feststellte. Unsere bestmögliche und bestausgestattete Bildung scheint wohl nicht so wichtig wie unser privater Alltag.


Nach der heißersehnten letzten Unterrichtsstunde geht Anja ihren öden Schulweg wieder zurück nach Hause. Dieselbe Betrübtheit der Menschen, dieselbe Rumquängelei der Automotoren und dieselbe Ausdruckslosigkeit der Bäume. Es ist so langweilig, dass sie dabei Musik mit ihren neuen AirPods hört. Die für sie einzige Möglichkeit sich von der Wirklichkeit abzuschotten. Als sie zu Hause ist, müsste sie eigentlich Hausaufgaben machen, aber es läuft gerade ihr absolutes Lieblingslied! Außerdem schreibt ihre beste Freundin Julia ihr dauernd, wie schön es auf Malle ist. Hinaus aus der Wirklichkeit und hinein in die virtuelle Atmosphäre. Anja schaut immer wieder zwischen dem hellleuchtenden Handy mit neuen Nachrichten und ihrem dunklen, kalten Schreibtisch hin und her. Das ist ja wohl keine Entscheidung, die sie groß mit sich selbst diskutieren muss! Beim Simsen kann sie sich sowieso nicht auf die Hausaufgaben konzentrieren. Das wurde sogar wissenschaftlich von Harald Martenstein nachgewiesen, also muss da ja wohl was dran sein. Hausaufgaben sind chancenlos im Gegensatz zu ihrem Handy. Sie kann ja nichts dafür, dass Julia gerade so viel mitzuteilen hat. Natürlich muss sie ihr dann antworten, das ist ja wohl klar.


Laut Angaben von hauptberuflichen Erziehern sind das Internet und der Computer, was Anjas Handy beides bieten kann, total wichtig, um bei Freunden mitreden zu können. Wieso sollte sie sich dann also eher auf die blöde Hausaufgabe vom völlig unhygienischen Herrn Paschke konzentrieren als auf ihre wirkliche Freundin Julia, die ihr mitteilt, wie schön es auf Malle ist? Scheint doch logisch. Sie will schließlich nicht ausgegrenzt werden, sondern ihre Freundschaft aufrecht erhalten. Mit einem vollkommenen Gefühl der Rechtfertigung legt Anja sich aufs Sofa, holt sich passend als Couchpotato Chips und pfeffert ihre Hausaufgaben in die noch dunklere Ecke, ausgestattet mit Staub und Spinnenweben, neben ihrem Schreibtisch. Meine Damen und Herren, das ist die Macht der Medien.

 
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