Frisches Blut für das Herz der Landeshauptstadt

Bjarne Liebel, Klasse 8a, Ricarda-Huch-Schule Kiel 19. November 2020
An der Holstenbrücke wird flaniert. © Foto: Bjarne Liebel Eine Gruppe sitzt auf einer der Bänke und unterhält sich. © Foto: Bjarne Liebel

Frisches Blut für das Herz der Landeshauptstadt

Drei Monate nach der Eröffnung des 19 Millionen Euro Projekts - Wie wird die Innenstadt durch das Holstenfleet neu belebt?

Es ist Samstagnachmittag. Die Uhr des Kieler Rathauses schlägt drei mal. Es weht ein frischer Wind, aber die Sonne ist noch zu sehen. Im Jahr 2017 ist hier vor allem eines zu vernehmen: Die knatternden Motorengeräusche der roten KVG-Busse. Doch drei Jahre sind vergangen und nahezu 19 Millionen Euro investiert. Früher prägten diesen Ort lediglich die Bushaltestelle ,,Holstenbrücke" und eine kopfsteinpflasterne Verkehrsstraße. Nun ist dieser eintönige Platz nach drei Jahren etwas anderem gewichen. Auch jetzt sitzen hier Kieler, aber nicht mehr auf den schmalen, dreckigen Bänken der Bushaltestelle. Nun verweilen sie in ,,Kiels neuer Mitte".

Knapp drei Monate sind nun vergangen. Am 20. August 2020 erscheint der Oberbürgermeister Ulf Kämpfer höchstpersönlich zur offiziellen Fertigstellungsfeier. Doch er ist nicht allein. Auch ein Kaufmann, eine Innenministerin und ein Gott des Meeres sind vor Ort. Gemeinsam ließen der Oberbürgermeister, Daniel Hacker, Sabine Sütterlin-Waack und Neptun, dargestellt von Norbert Aust des Theater-Museums Kiel, die letzten Tropfen Wasser in den neuen Kanal im Herzen der Landeshauptstadt. Abgesehen von letzten Handgriffen wurde somit der finale Akt vollbracht, der die Kieler noch von ihrem Projekt trennte.

,,Es ist ein attraktiverer Ort geworden, da nun mehr Platz zum Spazieren und Sitzen ist", so die Meinung einer jungen Dame zur Innenstadt Kiels. Sie nutze den Neubau auch gerne als Zwischenstopp bei Erledigungen in der Stadt. Der fertige Kanal wird wie erwartet angenommen. Es ist dort belebt und trotz Corona haben sich unterschiedlichste Gruppen und Personen niedergelassen. Auf der stufenartigen Promenade, die hinunter zum Becken führt, sitzen Familien, Seniorenpaare und Gruppen jüngerer Leute. Auch eine Möwe nimmt Kurs auf eine der mit Holz bedeckten Stufen, um dort eine Flugpause einzulegen.

,,Ich treffe mich mit Freunden, nach einem anstrengenden Shoppingtag kann man für eine Weile pausieren, weil es sehr viele Sitzplätze gibt." So nutzt eine Mutter von zwei Kindern die neuen Sitzbänke am Wasser. ,,Es ist eine entspannte Atmosphäre durch den schönen Wasserkanal." Die Idee, einen Kanal zur Belebung der Innenstadt zu nutzen, hatte auch einen ganz bestimmten Grund. Dieser Neubau ist nicht die erste Wasserverbindung zwischen Kleinem Kiel und Bootshafen, die Kiel im Laufe der Zeit erlebt hat. Bis zum Jahre 1846 bildete der Kleine Kiel mit dem heutigen Bootshafen einen durchgehenden Seitenarm der Förde. Somit befand sich die heutige Altstadt auf einer Halbinsel. Nun soll diese Insellage in Form der Wiederherstellung eines Teilstücks dieser historischen Wasserverbindung wieder erlebbar gemacht werden.

Inspiration fand dieses Vorhaben in den Vorschlägen einiger Kielerinnen und Kieler aus der Perspektivenwerkstatt ,,Innenstadt 2008". Dieses Rahmenkonzept ,,Perspektiven für die Kieler Innenstadt" erlaubte es den Bürgern Kiels, Ziele zu setzen und Ideen für ihre Innenstadt zu äußern. Daher trägt dieses Projekt auch den Titel ,,Ein Projekt der Kielerinnen und Kieler".

Einige Meter weiter beim ehemaligen Berliner Platz können ebenfalls ähnliche Beobachtungen gemacht werden. Allerdings weist der Beckenrand an diesem Teilstück des Kanals noch steinerne Sitzinseln auf. Auf diesen kann direkt am Wasser gesessen werden. Doch es wird hier nicht nur entspannt. Zwei Teenager sind in Bewegung und führen unmittelbar am Wasser waghalsige Fahrradtricks vor. ,,Das Radfahren ist zügiger und risikoloser möglich", schätzt ein Mann mittleren Alters die Neugestaltung.

In einem Punkt jedoch sind sich viele Bürger Kiels einig: Die Gegend um die Holstenbrücke lud vor der Umgestaltung eher weniger zum Verweilen ein. ,,Es war eine ganz einfache Innenstadt, wo die Menschen einfach durchlaufen", schätzt eine Studentin den damaligen Zustand der Innenstadt ein. Es gab nur die Geschäfte, keinen Ort zum flanieren. Außerdem wurde sie da, wo sich nun der Kanal befindet, noch von lauten Autos befahren. ,,Die Kieler Innenstadt war vorher um den Bereich der Holstenbrücke runtergekommen und unattraktiv. Vor allem der Verkehr hat gestört", meint eine Kielerin, die die Innenstadt regelmäßige besuche. Die Gegend lebte also einzig von der Attraktivität ihrer Geschäfte.

Doch die Kunden und Bummler sollen sich auch wohlfühlen und sich gerne in der Stadt aufhalten, anstatt bloß ihre Einkäufe zu tätigen und dann wieder aus der grauen und lauten Gegend zu verschwinden. Kiel ist eine Stadt am Wasser. Da bietet es sich nun einmal an, dieses auch beim Trip durch die Innenstadt, anstelle einer sechsspurigen Steinwüste, erlebbar zu machen.

Nichtsdestoweniger gehen die Meinungen auch auseinander. Es gibt Kritik, auch bezüglich der hohen Ausgaben, die man genauso gut für andere Zwecke, wie zum Beispiel Schulen, hätte verwenden können. Ein Mann, der diesen Ort schon seit Jahren auf dem Arbeitsweg mit dem Fahrrad passiert, lässt sich Zeit für seine Antwort: ,,Grundsätzlich kritisiere ich jede Steuergeldausgabe, ohne vorher die Meinung des Volkes zu empfangen und sich daran zu binden. Speziell auf den Kanal bezogen, scheint mir die Fläche unbelebter und leerer zu sein als vorher. Zur Vorstellung einer attraktiven Metropole gehört für mich auch immer Straßenverkehr."

Der Bau des Kanals unterstützte aber auch ein anderes unumgängliches Anliegen. Es dreht sich um den Sanierungsbedarf der Holstenbrücke, der ohnehin bestand. Da die Fördermittel nur für die Städtebauförderung in der Innenstadt zur Verfügung stehen, müsste die Stadt allein in den nächsten Jahren etwa 2,3 Millionen Euro aufbringen. Für den Kanal würden nach damaligem Stand vor dem Bau Kosten in Höhe von 3 bis 3,5 Millionen Euro anfallen. Dadurch wurden aber auch gleichzeitig Verbesserungen an der Holstenbrücke vorgenommen.

Die Mutter der zwei Kinder, die sich hier mit Freunden trifft, hat zu diesem Punkt auch noch etwas anzumerken. Sie sieht Sicherheitslücken und wünscht sich deren Behebung: ,,Dass die Buslinien da durchfahren, ohne dass es eine Ampel gibt, finde ich unsicher für die Passanten. Es wäre schön, wenn es eine sichere Durchgangsmöglichkeit gäbe. Das wäre sicherer für Kinder oder Familien."

Auch von Seiten der Kieler Ratsfraktion der CDU gibt es Kritik. Der Vorsitzende Stefan Kruber erneuerte im Rahmen eines NDR-Interviews seine Kritik, denn er sieht Mängel in der Attraktivität des Kanals, der beleben solle. Der Ort sei zu schattig und zugig. Doch dies bringt Kruber nicht davon ab, dem Projekt viel Erfolg zu wünschen. Die Innenstadt brauche diesen Schub dringend.

Der Name ,,Kleiner Kiel Kanal" ist wohl der bekannteste Name des Projektes. Er hat sich im Volksmund verankert. Tatsächlich ergab eine Namensabstimmung, die im Juli 2016 in den Kieler Nachrichten durchgeführt wurde, etwas anderes. Unter fünf vorgegebenen Namensvorschlägen gingen über 50 Prozent der Einsendungen der Leser an den Namen ,,Holstenfleet". Die endgültige Entscheidung liegt aber in den Händen der Ratsversammlung. Allerdings ist durch diese immer noch kein offizieller Name gefunden worden. Im Zeitraum zwischen dem 22. Oktober und 4. November dieses Jahres wurden die Ideen der Bürger in einem Beteiligungsverfahren abgefragt. In einem zweiten Schritt werden die Kieler unter sechs Vorschlägen wählen, bevor die Ratsversammlung dann endgültig das Schlusswort hat.

In der Fußgängerzone nebenan ist ein ganz normaler Arbeitstag, beim Kieler Traditionskaufhaus Meislahn werden Kunden bedient und beraten. Katharina Krey, 34 Jahre und seit fast sechs Jahren als Betriebswirtin bei Meislahn tätig, ist zufrieden. Die Eröffnung liegt noch nicht lange zurück und trotzdem kann sie schon viele begeisterte Leute beobachten, die am Fleet verweilen oder Fotos machen. Gerade nachdem sogar anfängliche Gegner des Projektes dem Kaufhaus positives Feedback übermittelt haben, ist die große Freude über diesen Anblick berechtigt. Auf der Homepage des Geschäfts heißt es ,,Shopping in Kiels neuer Mitte". ,,In der vergangenen Zeit hat die Kieler Innenstadt immer mehr an Attraktivität verloren. Shoppingzentren wie der Cittipark, im Schwentinental, die Holtenauer Straße und so weiter waren viel attraktiver für die Kunden und hier haben sich Geschäfte angesiedelt oder sind an diesen Standorten geblieben, während viele Geschäfte in der Innenstadt geschlossen haben und abgewandert sind. Durch den Bau des Holsten Fleets wollte man die Attraktivität des Herzstückes der Landeshauptstadt Kiel stärken, denn das Herzstück – also die Mitte – sollte in einer Landeshauptstadt die Innenstadt darstellen. Das Holsten Fleet wertet das Innenstadt-Bild auf, die Aufenthaltsqualität und -dauer soll sich dadurch deutlich verbessern, dadurch kommen neue Geschäfte und neue Gastronomie in die Innenstadt. All das sehen wir von Meislahn dann als „Kiels neue Mitte", sagt Krey.

Die Erwartungen die sie an das Fleet hatte, haben sich auch größtenteils erfüllt: ,,Das Stadtbild ist viel schöner geworden, Menschen verbringen Zeit am Fleet, die Frequenz der Besucher in der Innenstadt hat sich erhöht, es haben sich bereits Gastronomiekonzepte neu angesiedelt und es folgen noch weitere. Schön wäre, wenn sich auch weitere Einzelhandelskonzepte in der Innenstadt ansiedeln würden."

Auch Oberbürgermeister Kämpfer sieht schon erste Erfolge, wie ein Artikel des NDRs berichtet. Aber auch er gibt zu, dass noch etwas in der Innenstadt geschehen müsse: ,,Hier wird Gastronomie entstehen, so dass insgesamt ein Schub für die ganze Innenstadt entsteht. Wir sind hier im Herzen der Stadt, da hängt viel Herzblut dran, und wir wollen ja, dass Menschen nach Kiel kommen und sagen: Da gehen wir hin. Und wenn man seine Stadt zeigt, dann soll man diese Gegend hier zeigen."

 
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