Humor ist eine Medizin, die am leichtesten einzunehmen ist und am wenigsten kostet – Eine Reportage aus dem Alltag eines Klinikclowns.
Kiel. Ein kühler Wind weht Harald Roos ins Gesicht, als er sein Fahrrad anschließt. Wie jeden Morgen beginnt sein Arbeitstag mit dem Weg in die Umkleide. Hier schlüpft er in eine blaue, sehr weite, aber viel zu kurze Hose, die von roten Hosenträgern gehalten wird. Die weiße Jacke mit dem Schwalbenschwanz ähnelt einem Arztkittel. Auf dem Kopf trägt Roos eine XXL-Häkelmütze und mitten im Gesicht eine rote Clownsnase. Der Blick nach unten zeigt Schuhe in Übergröße. Jetzt ist er nicht mehr Harald Roos, sondern Dr. med. Hans Wurst, der Klinikclown.
Er ist seit neunzehn Jahren Klinikclown am Universitätsklinikum in Kiel. Seine Karriere als Clown begann damals auf der Straße. Auf Straßenfesten und Kindergeburtstagen verdingte sich der ausgebildete Lehrer und Physiotherapeut als Zauberer, Clown und Einradfahrer sein Geld. Durch den Film „Patch Adams“ wurde sein Interesse an der Arbeit als Klinikclown geweckt. Wichtige Eigenschaften eines Spaßmachers, wie zuhören können, witzig sein und ein Gespür für sein Gegenüber zu haben, bringt Harald Roos mit.
Mit der Unterstützung eines Clown-Kollegen aus Lübeck entwickelte er 2001 ein Konzept und wurde der erste Klinikclown am UKSH. Die Verkleidung als Dr. med. Wurst war eine dieser Ideen. Weil ein Clown alleine nicht alle großen und kleinen Patienten/-innen besuchen kann, erhält er Unterstützung durch drei weitere Klinikclowns. Sie sind freischaffende Künstler. Gemeinsam arbeiten sie in einem Team, tauschen Erfahrungen und Erlebtes aus. „Wir gehen immer zu zweit auf Clown-Visite. Das ist gut für die Kinder und auch für uns“, berichtet Harald Roos. Die kleinen Patienten/-innen reagieren mitunter zunächst etwas ängstlich beim Besuch der lustigen Gestalten. In solchen Situationen beschäftigen sich die Clowns gegenseitig, spielen gemeinsam und die Kinder schauen einfach nur zu.
Mit einem lustigen Transportfahrrad macht sich das Clown-Duo gegen 8.30 Uhr auf den Weg in die Kinderklinik. Eine Station, die sie regelmäßig besuchen, ist die Kinderstation C216. Hier werden maximal 27 Kinder mit kardiologischen und onkologischen Erkrankungen behandelt. Das anwesende Personal gibt besondere Informationen zu einzelnen Patienten/-innen. Dadurch haben die Klinikclowns die Möglichkeit, medizinische und auch emotionale Rücksicht auf jedes Kind zu nehmen: „Beispielsweise interessiert es uns, ob ein Kind gerade schläft, ob es traurig ist, welche hygienischen Maßnahmen zu beachten sind oder auch ob es Bauchschmerzen hat. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, wenn wir nicht so viel von der Krankengeschichte der Kinder wissen. Wir können ihnen dann entspannter und offener begegnen.“ Dr. med. Wurst geht mit seiner Clown-Kollegin von Zimmer zu Zimmer. Es gibt Kinder, denen eine kleine Aufmunterung guttut. Dadurch können sie ihre Krankheit für einen Moment vergessen.
Zu den Fähigkeiten eines Clowns gehört es auch, den Alltag aus einer anderen Perspektive zu sehen als die meisten Menschen: „Zum Beispiel, wenn ein Kind einen großen Kopfverband trägt, ist das für uns eine Mütze. Wir sehen bestimmte Situationen mit anderen Augen. Dadurch ermöglichen wir auch den kleinen Patienten/-innen einige Dinge anders wahrzunehmen.“
Manche Kinder sind durch ihre Erkrankung sehr geschwächt. „Dann setzen wir uns nur ans Bett, machen ein bisschen Musik oder reden mit den Eltern. Anfangs war es uns gar nicht bewusst, wie wichtig der Kontakt mit den Eltern ist. Sie sitzen oft 24 Stunden am Tag bei ihren Kindern am Patientenbett und haben wenig soziale Kontakte. Die Eltern sind dankbar für ein wenig Abwechslung durch uns. Während wir auf den Stationen sind, ist eine leichtere Stimmung spürbar“, erzählt der erfahrene Klinikclown. Einen festen Zeitplan gibt es bei der Clown-Visite nicht. Somit ist es möglich, auf jedes Kind individuell einzugehen.
Fachpflegekräfte berichten von einer großen Herzlichkeit und guter Laune, wenn die Clown-Visite durchgeführt wird. Strahlende, leuchtende Kinderaugen freuen sich auf den Besuch und möchten am liebsten das Krankenbett verlassen, um die Clowns bei ihrer Tour durch das UKSH zu begleiten. Für diesen Moment spielen die Erkrankungen eine untergeordnete Rolle.
Zwei Mal pro Woche begleitet Dr. med. Wurst kleine Patienten/-innen zu besonderen Therapien. Beispielsweise bekommen hier Kinder in einer Operation Spritzen in die Gelenke injiziert. „Die Kleinen sind sehr ängstlich und die Vorbereitungen sind sehr schmerzhaft“, berichtet Harald Roos: „Sie werden von uns während der gesamten Vorbereitung bis in den OP begleitet. Wir sind dabei, wenn sie vorab Untersuchungen erhalten und nehmen ihnen damit die Angst vor diesem operativen Eingriff. Wir sitzen neben den Kindern, beruhigen sie oder lenken sie ab. Dadurch werden die Schmerzen manchmal etwas erträglicher.“
Klinikclown-Projekte werden leider nicht von den Krankenkassen bezahlt, obwohl Studien belegen, dass lachen den Heilungsprozess fördert. „Die Clownsvisiten sind für die Kliniken am UK SH kostenneutral. Die anfallenden Kosten für Clownshonorar, Material, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildungen werden ausschließlich über Spenden von Unternehmen, Vereinen, Verbänden und Privatpersonen finanziert oder ehrenamtlich geleistet.“
Wenn Roos sich als Clown verkleidet, findet diese Verwandlung nicht nur äußerlich statt: „Auch unsere Seele und unser Zustand verwandeln sich. Als Clown ist man ein anderer Mensch. Das Kostüm kann auch eigene Schmerzen verschwinden lassen. Jede Begegnung als Clown mit anderen Menschen ist witzig. Ich kann auch nur irgendwo sitzen und die Menschen reagieren auf mich lustig und machen Witze.“ Eine Angewohnheit von Harald Roos ist es, die Menschen mit einem Peace-Zeichen zu grüßen. Selbst ältere Leute erwidern diesen Gruß mit dem Wort „Peace“. Durch flüchtige Begegnungen auf dem Klinikgelände fangen die Menschen an zu lachen: „Dieses Lächeln bewirkt auch was in mir. Eigene Sorgen und private Dinge werden in diesem Moment nicht mehr so stark empfunden. Wenn ich ein Clown bin, schlüpfe ich in eine andere Welt.“ Er empfindet seine Arbeit als nicht belastend, sondern eher aufbauend.
„Bei unseren Clown-Visiten machen wir Spaß-Untersuchungen, die nicht wehtun. Wir zeigen den Patienten/-innen deutlich, dass wir auch Menschen sind, Fehler machen und dass man vor einem weißen Kittel keine Angst haben muss. Ich versuche den Kindern die Angst vor dem Ungewissen, den Untersuchungen, den Therapien und den komischen Fachausdrücken zu nehmen. Deswegen haben wir das Konzept mit der Arzt-Verkleidung gewählt. Die Schmerzen können wir nicht nehmen, vielleicht ein bisschen durch Ablenkung. Die Erinnerungen an das Krankenhaus sollen nicht mit „Schmerzen“ verbunden werden, sondern mit dem Wissen, die Klinikclowns zu treffen.“
Durch die Corona-Pandemie hat sich auch im Alltag eines Klinikclowns einiges geändert. Das Betreten der Patientenzimmer ist nur mit einem Mund- und Nasenschutz möglich, ebenso muss ein Sicherheitsabstand eingehalten werden. Auf Grund dieser Corona-Maßnahmen sind einige Tricks derzeit leider nicht möglich: „Anfangs haben wir das Tragen eines Mundschutzes sehr bedauert, da sich sehr viel Kommunikation über unsere Mimik abspielt. Aber das ist nicht so schlimm.“ Bevor es Corona gab, konnten die Klinikclowns mit kleinen Patienten/-innen mit dem speziellen Clown-Fahrrad über das Klinikgelände fahren. Das ist bedauerlicherweise wegen der Pandemie gerade auch nicht möglich.
Als eines der Zukunftsprojekte plant Harald Roos kleine Patienten/-innen bereits morgens ab 7.30 Uhr mit in den Operationssaal zu begleiten, um ihnen die Angst vor dem Unbekannten zu nehmen.
„Ich wünsche mir, dass die Menschen auf jeden Fall glücklicher sind, wenn wir das Patientenzimmer verlassen. Ich möchte Gedanken zurücklassen und eine andere Sicht auf die Situation vermitteln."
Und noch lange nach dem Feierabend, wenn Harald Roos die rote Nase abgelegt hat und auf seinem Fahrrad davon geradelt ist, erinnern seine mitgebrachten Luftballonfiguren, an den Besuch des Klinikclowns.
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