Selbstausbeutung durch Multi- Level- Marketing

Amelie Freitag, Gym. Lütjenburg, WPU Medienpraxis 18. November 2020
© Amelie Freitag

Jeder wurde wohl schon einmal auf ein Tupper- oder Putzparty eingeladen, bei denen ein/eine BeraterIn kommt und Produkte vorstellt und wenn nicht, dann kennt man bestimmt jemanden, der schon einmal auf einer dieser Partys war. Vielleicht waren Sie ja selber schon einmal GastgeberIn solch einer Party, aber wussten Sie, dass diese Partys eine weitreichende Vorgeschichte haben und so zu einer der betrügerischsten Geschäftsmodelle wurde?

Im frühen 20. Jahrhundert wurde das Plastik erfunden und zum ersten Mal auch verarbeitet. Plastik galt als ein Wunderstoff mit viel Potenzial. Earl S. Tupper  erschuf die ersten Tupper- Produkte. Um die Verkäufe anzukurbeln, kam seine Geschäftspartnerin Brownie Wise auf die Idee, Hausfrauen zu ermutigen, sich zu Hause bei einer Gastgeberin zu treffen, damit eine Beraterin dort ihre Produkte vorstellen konnte. Diese Zusammentreffen wurden schnell zu einem riesen Erfolg und der Andrang wurde immer größer.

Das Geschäftsmodell passte perfekte in die Zeit der 50er und 60er Jahre, da viele Frauen damals keine Arbeit hatte, jedoch eine Alternative zum klassischen Familienbild wollten. Mit Tupperware bot sich ein wunderbarer Weg an arbeiten zu können um eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit erreichen zu können und trotzdem den Haushalt zu machen und sich um Kinder kümmern zu können. Sie wurden selber zu Tupper- Beraterinnen. Bis heute sind 75% der Leute in der Branche Frauen. Außerdem kamen durch die vielen Vertreter an den verschiedenen Standpunkten die Produkte an jegliche Orte im Land und verbreiteten sich bald auch im Ausland. Alles in allem war es eine sehr schlaue Idee, jedoch wurde das System über die Jahre so verändert, angepasst und vergrößert, dass es heute eine kapitalistische und teilweise kriminelle Ausbeutung der Arbeitskräfte führte.

Die erste Frage die sich einem stellt ist wohl: „ Was ist Multi- Level- Marketing?"
Multi- Level- Marketing ist eine Vermarktungsstrategie, bei welcher die Firmen ihre Produkte oder Dienstleistungen durch ein großes Netzwerk von VertreterInnen verkaufen. Natürlich sind nicht alle Firmen, die diese Marketingstrategie nutzen, genau gleich aufgebaut. Das Grundprinzip ist jedoch immer dasselbe. Die VertreterInnen verdienen pro Verkauf ihr Geld. Das System ist nämlich so aufgebaut, dass die VertreterInnen nicht bei den Firmen, für die sie arbeiten, angestellt sind und dort ein festes Gehalt bekommen, sondern selbstständig sind. Anfangs wird man von Leuten, die bereits für diese Firma Dienstleistungen oder Produkte verkaufen 'rekrutiert'. Diese Person ist dann eine Art persönlicher Vorgesetzter, der auch„Upline" genannt wird. Von jedem Produkt, das man verkauft, geht eine bestimmter Anteil des Gewinns, welcher von Firma zu Firma variiert, an diese Person.

Alle hoffen natürlich auf jede Menge gute und erfolgreiche Monate, jedoch ist und bleibt dies für die meisten VertreterInnen nur ein Wunsch. Man bekommt die Produkte nicht von den Firmen zu geschickt, sondern man muss sich die Produkte selber erst einmal selber kaufen, bevor man sie an die Kunden weiterverkaufen kann. Oftmals bleiben sie auf den Produkten sitzen und somit auch auf den Kosten.

Der einzige Weg, mehr Geld zu machen, ist, dass man selber Leute rekrutiert und ein Teil deren Gewinn ein nimmt. Diese sind dann die downline- Mitarbeiter, während man selber zur Upline, also dem persönlichen Vorgesetzten, aufsteigt. Visualisiert würde das System wie eine Pyramide aussehen, oben die CEOs und, je weiter nach unten man geht, desto mehr Leute, mehr downlines, kommen dazu. Je weiter unten man sich in der Pyramide befindet, desto schwerer wird es, Geld zu verdienen, da alle Einnahmen an die uplines geht. Für viele hört sich das sehr ähnlich an, wie das illegale Schneeballsystem. In Deutschland ist das Geschäftsmodell jedoch legal, solange nicht der Eindruck erweckt wird, dass nur durch das Einführen weiterer Teilnehmer Profit gemacht werden kann.

Trotzdem mit finanzieller Unabhängigkeit und dem großen Geld geworben wird, kann tatsächlich nur ein Prozent der Mitarbeiter davon leben und 90% werden auf lange Sicht scheitern. Statistisch gesehen, ist das also eine 99% Chance, sein Geld in den Sand zu setzen. Die meisten verlieren in den ersten Monaten mehrere Tausend Euro.

Ein Job im Multi- Level- Marketing kann daher auf keinen Fall als Haupteinnahme-Quelle dienen, viele Leute verbringen aber, freiwillig oder auch nicht, so viel Zeit mit dem Marketing, so dass private Zeit, früher mit Freunden, Famielie oder Hobbys verbracht, nun zu kurz kommt. Hier sind je nach Firma wieder Unterschiede, aber in vielen Unternehmen wird erwartet, dass man sich auch „außergeschäftlich" in kleineren Gruppen trifft, um weitere Strategien und Vorgehensweisen zu besprechen. Diese Besprechungen dauern meistens mehrere Stunden und können monatlich, wöchentlich oder sogar täglich sein. Alles unbezahlte Arbeit. Manche Firmen veranstalten sogar in periodischen Abständen riesige Zusammenkommen in Arenen oder Konzerthallen. Die Kosten für Eintritt, Anfahrt und eventuelle Übernachtungen in Hotels müssen die meisten selber tragen. Bei solchen Veranstaltungen ist oftmals einer der oberen ein Prozent, wenn nicht sogar der CEO, anwesend und hält Reden, erklärt weitere Schritte und verrät natürlich auch das Geheimnis zum Erfolg. Diese Veranstaltungen sind meistens Pflichtveranstaltungen.

In dem Moment in dem man merkt, dass solche Treffen und Veranstaltungen zu viel werden und man sich immer weiter abkapselt von dem, was einem mal wichtig war, sollte man so schnell wie möglich aussteigen und nicht mehr für die Firma weiter arbeiten. Falls man dies nicht tut, kann es wirklich gefährlich werden. ,,Ich hab mein Selbstwertgefühl verloren, ich habe verloren, wer ich war, ich habe Freunde verloren, Ich habe Zeit und Geld verloren. Ich habe Monate meines Lebens vergeudet." Erklärt eine ehemalige Mitarbeiter in einem Youtube- Video.

Die meisten Produkte, die von solchen Firmen verkauft werden sind Kleinkram, den niemand wirklich braucht. Erstmals denkt man an Produkte wie Cremes mit Superkräften, um die Hautalterung zu reduzieren, ätherische Öle oder überflüssige Haushaltsprodukte. Allerdings werden unter anderem auch Lebensmittel, Schmuck, Versicherungen, Energie, Bausparen, Investment-Fonds angeboten. Den meisten Produkten kann keine Wirkung nachgewiesen werden und einige Firmen haben Siegel oder Zertifikate, welche die Eignung des Produktes bestätigen soll, gefälscht oder sogar erfunden.

Abschließend kann man sagen, dass das Arbeiten in der Branche sich nicht auszahlt, sondern eher das Gegenteil bewirkt. Für viele entwickelt sich das Arbeiten in der Branche zur finanziellen Hölle. Man verliert aber nicht nur sein Geld, sondern auch sein Sozialleben. Zu viele Leute realisieren dies leider meistens erst, wenn es zu spät ist, und sie schon mittendrin sind.

 
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