„Don‘t go backway“

Julie Facklam Medienpraxis am Gymnasium Lütjenburg 18. November 2021 3 Kommentar(e)
Joseph mit seinem Taxi in Gambia. © Angela Reuß

 

„Don't go backway"
Von Julie Facklam
Angela Reuss(73),aus Kißlegg in Baden-Württemberg, gehörte zu den ersten Leuten in ihrer Stadt, die in der Flüchtlingskrise 2015 den ausländischen Menschen halfen. Zunächst bot sie mit anderen Deutschkurse an. Aber mehr noch – zu einem der Flüchtlinge,Joseph, pflegte sie bald engeren Kontakt und unterstützt bis jetzt Menschen in seinem Heimatland Gambia. Heute sind Angela und Joseph schon seit langem Freunde. Durch Angelas Unterstützung sind auch viele Bekannte aufmerksam geworden und helfen Joseph, der heute wieder in seiner Heimat lebt, nach dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe".
Wie kam es, dass du Joseph näher kennenlerntest und wie hast du ihn zuerst unterstützt? Nach einigen ersten Deutschstunden in einer Gruppe von fünf Männern, war klar, wir müssen uns um einzelne Leute kümmern, da sich das Unterrichten in der Gruppe zu schwierig gestaltete. So war einer der Menschen sehr intelligent und ein anderer kam gar nicht, weil er Analphabet war. Das war Joseph, der meinte immer, sein Kopf wäre noch nicht so weit, um etwas zu lernen. Und so unterstützte ich ihn zuerst bei den alltäglichen Dingen: Irgendwann musste Joseph dann zum Arzt und zur Bank, um ein Konto zu eröffnen. Ich zeigte ihm, wo Supermärkte oder die Arztpraxen sind. Auch zu einem Rechtsanwalt bin ich mit ihm gegangen, weil er in Italien schon Asyl beantragt hatte. Dann darf man eigentlich nicht in Deutschland bleiben. So mussten wir einen Rechtsanwalt suchen, der uns hilft, dass er trotzdem bleiben kann.
Dann ist Joseph ja aber trotzdem nach Gambia zurückgekehrt, wie kam das? Er hat am Anfang ziemlich große Schwierigkeiten hier gehabt und war haltlos. Dann habe ich versucht mit ihm Deutschunterricht zu machen, aber das war in dem Container, wo er lebte, einfach nicht möglich. Da habe ich gesagt, er solle zu uns nach Hause kommen. Es begann, dass wir ihm voll vertraut haben. Und daher nahmen wir ihn überall mit, wo wir hinfuhren. Wir haben ihm etwas von Deutschland gezeigt. Später stellte sich allerdings heraus, dass er großes Heimweh hatte. Außerdem merkte er, dass er als Analphabet in Deutschland keine Chance hat. In Hamburg am Bahnhof sah er zum Beispiel, dass es auch hier Obdachlose gibt. Daraufhin sagte Joseph, er möchte niemals in einem fremden Land obdachlos sein. Deswegen begann er zu sparen, er hatte zwischendurch hier bei Freunden gearbeitet. Von diesem Geld haben wir einen alten Mercedes gekauft. Wir unterstützten ihn, aber nicht finanziell, nur mit Hilfe. Anschließend sammelten wir aber mit Bekannten Geld, weil uns klar war, es ist ganz schlimm, wenn er in seine Heimat zurückmuss. Dort hatte Joseph den Verwandten gesagt, er werde ihnen Geld schicken, damit sie überleben können. Wenn nun ein Flüchtling zurückkommt und er hat kein Geld, dann sehen die Menschen ihn dort als Loser an. In Afrika haben sie oft die Vorstellung, in Europa kann man überall Geld verdienen. Sie sehen nicht, dass es gar nicht so einfach in Deutschland ist. Anschließend nahmen wir einen ziemlichen Einfluss auf ihn und sagten: ,,Joseph, wenn du so ein Heimweh hast, dann geh zurück und wir gucken, dass wir genug Geld mit dir sammeln, damit du eine Existenz in Gambia hast."
Und wie war das schließlich umzusetzen? Erstmal kaufte Joseph sich den Mercedes mit der Vorstellung, dass er dann Taxi fahren kann. Zudem haben alle Leute ihn auch gut für seine Arbeit bezahlt. Das Geld sammelte er und ging schließlich mit 10 000 Euro zurück nach Gambia. Das war ein Wert, mit dem er einen Neustart für möglich hielt. Zuerst waren aber mein Mann und ich in Gambia, um zu schauen, wie die dortige Situation ist. Wir haben die Familie besucht und angedeutet, dass er zurückkommt. Die Situation in Gambia war nämlich schwierig, weil zu der Zeit noch Diktatur herrschte. Trotz allem war dies für ihn die richtige Entscheidung und zusammen schrieben wir auch ein Buch von seiner Flucht und der anschließenden Rückkehr. Es trägt den Titel „Don't go backway" und soll andere Gambier vor der Flucht warnen.
Mittlerweile trägst du auch zu anderen Hilfsaktionen, beispielsweise der Unterstützung einer Schule, bei. Wie kam es, dass nun auch andere Leute dein Engagement für die Menschen in Gambia mit Spenden unterstützen? Als wir zum Beispiel einem Cousin von Joseph eine Augenoperation ermöglichten, übernahm zunächst ich die erste OP. Aber dann wurden andere Menschen oft aufmerksam und halfen dann auch. Da gibt es als Beispiel noch einen Hautarzt, der gibt mir immer wieder einfach Geld für Joseph. Für mich selbst kann ich auch schlecht um Unterstützung oder um Geld bitten. Allerdings kann ich das für die Leute in Gambia unglaublich gut! Durch meine Initiative werden andere Menschen angeregt, auch zu helfen.
Was hast du durch die Einblicke in Gambia für dein Leben hier gelernt? Ich lernte zum Beispiel, dass ein Analphabet trotzdem einfach nicht dumm ist. Er kann auf ganz anderen Gebieten tolle Fähigkeiten entwickeln! Ich habe auch gelernt, dankbar zu sein, dass ich in Deutschland lebe: Wenn ich zurückkomme, denke ich immer Glück zu haben, in so einem Luxus geboren zu sein. Ich bewundere die Leute, wie sie es schaffen zu überleben!

 

 
3 Kommentar(e)
  1. Klaus Schlotmann
    24. November 2021

    Eine berührende Geschichte aus einer für uns fremden Lebenswelt. Gute, tiefgehende Fragen gestellt , 3 Sterne !
  2. Ina
    24. November 2021

    Die Geschichte von Joseph berührt mich sehr. Ich gebe hierfür selbstverständlich 3 Sterne und wünsche mir sehr, dass es Joseph gut geht. Ein ganz toller Text..... Danke!
  3. Klein-Reuss, Hildegard
    25. November 2021

    Ein sehr guter , beeindruckender Text ,der 3 Sterne von mir bekommt. Joseph hat Glück gehabt auf so hilfsbereite Menschen zu treffen.

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