Alltag auf zwei Rädern - (M)ein Tag im Rollstuhl ♿

Felix Mayer, 9c, Gymnasium Altenholz 17. November 2022 1 Kommentar(e)
Bei meinem Tag im Rollstuhl wurde ich mit verschiedenen Situationen des Alltags konfrontiert. © Felix Mayer Um in den Bus Ein- und Aussteigen zu können, benötige ich eine Rampe. © Felix Mayer Für kleinere Einkäufe kann man den Korb auf dem Schoß abstellen. Für größere Einkäufe gibt es spezielle Einkaufswagen, die an dem Fußstützenarm des Rollstuhls befestigt werden. © Felix Mayer

Ich fasse mit beiden Händen an die Greifreifen. Mit einer lockeren Bewegung aus dem Handgelenk bringe ich den Rollstuhl in Bewegung. Die Vorderreifen leicht angehoben, bekomme ich auch die kleine Metallkante zwischen Vorflur und Treppenhaus überwunden. Zwei, drei Schwünge und schon bin ich am Aufzug angelangt. Nach kurzem Warten öffnet sich die Tür des Aufzugs. Ich wende und "parke" den Rollstuhl rückwärts im Aufzug ein.

Nun nur noch die Taste "Erdgeschoss" drücken und die Tür schließt sich ... oder auch nicht. Der Aufzug ist zu klein und das Fußbrett des Rollstuhl verhindert, dass sich die Tür schließen kann. Dass die erste große Barriere schon beim Verlassen des Hauses auftritt, hätte ich vorher nicht gedacht.

Meine Beine sind einer der meistgenutzten Körperteile im alltäglichen Leben. Ich nutze sie, um zur Schule zu kommen, Fahrrad zu fahren, Laufen zu gehen und sogar, um vom Sofa aufzustehen. Doch in Deutschland ist ca. jeder 57. Mensch auf die Hilfe eines Rollstuhls angewiesen. So begegnen mir auch in Kiel tagtäglich Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer. Da habe ich mich gefragt, wie es ist, in unserer heutigen Gesellschaft im Rollstuhl zu sitzen? Wenn man möglicherweise zwangsläufig im Alltag auf die Hilfe der Mitmenschen angewiesen ist.
Und was für Barrieren begegnen einem im Alltag?
Das Sanitätshaus Asmann hat mir freundlicherweise einen Aktivrollstuhl zur Verfügung gestellt und so hatte ich die Möglichkeit, mich einmal selbst in diese Lage zu versetzen und einen Tag lang im Rollstuhl zu verbringen.

Vom Aufstehen an beginnt mein Tag im Rollstuhl. Ich rolle aus meinem Zimmer in die Küche, um meiner Mutter zu helfen, den Tisch zu decken. Sobald ich die Teller auf meinem Schoß gestapelt habe, muss ich zwei, dreimal an den Reifen drehen, um den Rollstuhl zu wenden. Dann noch ins Wohnzimmer rollen und ich kann die Teller auf dem Tisch abstellen.
Das klingt jetzt nicht weiter wild, doch wenn man das ganze Prozedere zwei - drei mal macht, kann das schon gut 5 Minuten mehr in Anspruch nehmen, als wenn einem für diese Aufgabe zwei Beine zur Verfügung stehen.

Wenige Momente später rolle ich mich dann an den Tisch heran, um zu frühstücken.
In dem Rollstuhl sitze ich allerdings etwas höher als auf unseren Stühlen und so stoßen meine Beine an der Tischunterseite an. Aber all das sind natürlich Dinge, die bei einem täglichen Leben im Rollstuhl geändert werden müssen.
So ist auch unser Badezimmer nicht barrierefrei und für diesen Teil des Tages muss ich den Rollstuhl kurzzeitig verlassen.

Nach dem Frühstück geht es zurück in mein Zimmer. Hier sieht es immer noch sehr chaotisch aus: Im Bett liegt die aufgewühlte Bettdecke und mein von der Nacht plattgedrücktes Kopfkissen. Die Jalousien verhindern, dass Licht durch die Fenster scheint. Mit dem Rollstuhl leicht seitlich zum Bett stehend, gelingt es mir, die Bettdecke sowie Kopfkissen zu greifen und zusammenzulegen. Auch das Öffnen der Schublade klappt noch gerade so.
"Mama!", rufe ich, "ich brauche mal kurz deine Hilfe". Ein paar Momente später hilft mir meine Mutter beim Öffnen der Jalousien und dem Auflegen der Tagesdecke auf das Bett. Aufgaben, die ich im Rollstuhl sitzend nicht alleine gemeistert bekomme.

Ist die morgendliche Routine abgeschlossen, nehme ich meinen Rucksack und befestige ihn an der Rückenlehne sowie den minimalistischen Schiebegriffen meines Aktivrollstuhls.
Das hätte ich mir im Sitzen sogar schwieriger vorgestellt. Genau wie das Anziehen der Jacke. Ich rolle durch den Flur zu unserer Haustür, verabschiede unseren irritierten Hund und ziehe mit einem leichten Rumsen die Tür hinter mir zu. Dann mache ich mich auf den Weg zum Bus.
Der Weg ist zwar nicht lang, es gibt allerdings eine kleine Steigung zu überwinden. Als Rollstuhlfahrer merke ich dies deutlich mehr, als wenn ich zu Fuß unterwegs bin.
Doch auch dieses Ziel ist irgendwann erreicht und so sitze ich ein paar Minuten später an der Bushaltestelle. Der Bus öffnet sich und bevor ich irgendetwas sagen kann, steht schon ein Mädchen vor mir und fragt mich, ob sie die Rampe rausmachen soll.

Überrascht von der Geschwindigkeit des Mädchens und angespannt, etwas falsch zu machen, antworte ich:
"Ja, das wäre nett". Mit zwei Schwüngen rolle ich die Rampe hoch, bringe auf dem Weg noch ein schnelles "Vielen Dank" heraus, wende, ziehe die Handbremse an und sitze mit der Rückenlehne entgegen der Fahrtrichtung
an meinem vorgesehenen Platz. 21 Haltestellen später drücke ich den bunt leuchtenden Knopf, mit Rollstuhl-Icon. Diesmal muss ich kurz eine Frau bitten, mir die Rampe auszuklappen. Doch auch das funktioniert einwandfrei.

Naja, um ehrlich zu sein, ging das Ein- und Aussteigen nur so schnell, weil ich es schon mal gemacht hatte. Einen Tag vor meinem Selbstversuch bin ich mit dem Bus nach Wellsee gefahren, um den Rollstuhl dort abzuholen. Bereits auf dem Rückweg probierte ich, erste Bekanntschaft mit meinem neuen Hilfsmittel zu machen und mich schon mal auf den Versuch vorzubereiten.
So kam es, dass ich am Tag zuvor das erste Mal mit dem Rollstuhl in den Bus gerollt bin. Mein Herz pochte bestimmt über 100 mal pro Minute, als ich das erste Mal an der Bushaltestelle saß. Ich habe mir Youtube-Videos zur Vorbereitung angeschaut. Dennoch stellte ich mir Fragen wie: "Was ist, wenn ich beim Hochrollen gleich aus dem Bus falle oder wenn ich nicht richtig auf mich aufmerksam mache und der Bus einfach ohne mich weiterfährt?"

Tatsächlich wurden alle meine Ängste sofort im Keime erstickt. Der Bus war zwar leer, sofort stieg aber der Busfahrer aus und half mir mit der Rampe. Die Rampe schaffte ich noch, das Drehen und an den Platz rollen dann nicht mehr. So fiel ich mit dem Rollstuhl halb um und mir musste der sehr freundliche und hilfsbereite Busfahrer an meinen Platz helfen. Nun noch Bremsen anziehen und ich hatte es geschafft.
Doch die Entspannung hielt nicht lange an, denn ich wusste, am Hauptbahnhof müsste ich wieder raus. Das funktionierte allerdings besser als gedacht und ein Mädchen klappte gleich im Rausgehen die Rampe raus. Richtig unangenehm wurde es dann erst beim rollen in den nächsten Bus.
Ein älterer Herr fragte mich, ob ich die Rampe bräuchte. In diesem Moment fühlte ich mich, als würde ich mir etwas nehmen, was mir gar nicht zusteht.
Der arme ältere Herr muss mir jetzt helfen. Doch säße ich wirklich im Rollstuhl, hätte ich ja die gleiche Situation. Gute Frage, ob mir der Mann dann trotz dessen Leid täte. Wahrscheinlich schon.

Zurück zum nächsten Tag: Eine Busfahrt später bin ich endlich beim Citti Park angekommen. Ich erlebe den schönsten Moment des Tages, als sich die Schiebetür öffnet und ich über die Fliesen des Citti Parks rolle. Auf so einem Boden macht das Rollstuhlfahren fast schon richtig Spaß! Nach der langen Busfahrt suche ich schnell das Behinderten- WC auf. Hier hört der Spaß auch schon wieder auf. Die Tür der neuen Behindertentoilette im Citti Park muss manuell nach außen hin geöffnet werden. Anstatt einen Knopf zu drücken und zu warten, bis sich die Tür automatisch öffnet, muss ich die Tür zu mir heranziehen. Dabei fangen sich aber die Räder an zu bewegen und der Rollstuhl wird nach hinten von der Tür weggeschoben. Ich muss also mit den Händen an den Türrahmen fassen und mich mit viel Kraftaufwand in die Kabine ziehen. Und es sollte noch nerviger werden:
Zum Waschen der Hände gehört natürlich auch das Abtrocknen. Allerdings ist im Citti Park das Papier zum Hände abtrocknen so ungünstig angebracht, dass man mit nassen Händen die Greifreifen anfassen muss. Das führt dazu, dass danach die Greifreifen nass sind. Und das Verlassen der Toilette macht noch mehr Spaß als das Reinkommen. Denn die Tür hat einen Schließmechanismus und zum Öffnen muss man gegen diesen anarbeiten.

Bei Media Markt wurde ich wiederum positiv überrascht. Vor dem Selbstversuch hätte ich gedacht, dass das Ausprobieren der Smartphones deutlich schwerer fällt. Doch auch wenn die Handys auf Kopfhöhe angebracht sind, kann man diese gut in die Hand nehmen und sich im Detail anschauen. Nur das Ablesen der Preisschilder fällt recht schwer. Das Fahren mit dem Aufzug zum Obergeschoss war recht unspektakulär, nahm allerdings etwas mehr Zeit in Anspruch, als wenn ich die Rolltreppe zu Fuß hätte nehmen können.

Zurück im Erdgeschoss ging es zu Aldi. Am Eingang nehme ich mir einen Korb, den ich dann auf meinen Schoß stelle.
Schnell werden die engen Gänge zum Problem für mich. Auf der linken Seite steht ein mit Neuwaren befüllter Wagen. Auf der rechten Seite ist eine Familie, die die Preise studiert. Ich bin am Regal mit dem Pesto angekommen. Ich greife es und lege es in meinen Korb. Zum Glück wollte ich das Pesto Rosso, wäre es das Basilikum Pesto gewesen, hätte ich um Hilfe
bitten müssen, denn es steht zu hoch für meine Arme. Am Kühlregal sieht es genauso aus: Produkte, die zu hoch stehen, sind für mich nicht zu erreichen. Auch an Tiefkühlprodukte, die weit hinten in der Kühltruhe liegen, gelange ich nur schwer. Glücklicherweise steht aber heute kein TK- Produkt auf meiner Einkaufsliste. Das Bezahlen ist purer Stress für mich. Der Korb steht auf meinen Beinen. Entweder hole ich die Waren aus dem Korb und lege sie auf das schnelllaufende Fließband oder ich bewege mich vorwärts.
Beides auf einmal geht nicht, denn für beides brauche ich meine Hände. Nachdem die Kassiererin meine Einkäufe über das Fließband gezogen hat, hole ich meine Karte aus dem
Portmonee. Ich muss allerdings feststellen, dass das Bezahlen deutlich schwerer fällt, da ich das Bezahlterminal nicht einsehen kann. So ist das Ablesen des Preises sowie das Eingeben meiner Geheimzahl deutlich schwieriger.

Nachdem der kleine Einkauf abgeschlossen ist, rolle ich zurück zur Bushaltestelle und eine halbe Stunde später befinde ich mich auf dem Fußweg vor dem Hauptbahnhof. Beim Aussteigen war ich froh, in einem Aktivrollstuhl zu sitzen, was das Wenden im Bus deutlich einfacher macht.
Denn es gibt für verschiedene Bedürfnisse auch verschiedene Rollstuhltypen. Zum einen gibt es den Standard- oder Leichtgewichtrollstuhl. Dieser wird hauptsächlich für befristete Zeit, beispielsweise bei einem Beinbruch oder aber zur einfacheren Pflege im Krankenhaus oder im Pflegeheim genutzt. Für eine Person, die tagtäglich auf die Hilfe eines Rollstuhls angewiesen ist und trotzdem schnell und mobil unterwegs sein möchte, empfiehlt sich dagegen die Nutzung eines Aktivs- oder Adaptivrollstuhls. Diese Rollstühle sind besonders leicht, wendig und können von dem Sanitätshaus des Vertrauens speziell an die Bedürfnisse des Rollstuhlfahrers angepasst werden. Je nach Wunsch gibt es solche Aktiv/Adaptiv- Rollstühle auch zum einfachen zusammenfalten. Des Weiteren gibt es noch Elektrorollstühle, sowie diverse weitere Rollstühle, die das Leben vereinfachen sollen. Beispielsweise gibt es Handbikes oder Sportrollstühle zur Ausübung von verschiedenen Sportarten, als auch Duschrollstühle, welche aus besonders wasserresistenten Materialien bestehen. Auch wenn man hier noch näher ins Detail gehen könnte, welche Rollstühle es gibt und Seiten mit Informationen füllen könnte, mache ich jetzt dennoch mit meinem Erfahrungsbericht weiter.

Vor dem Hauptbahnhof stehend, muss ich irgendwie die Straße überqueren, um in den Sophienhof zu gelangen. Also fahre ich um zwei Ecken und schon stehe ich direkt vor dem Aufzug zur Fußgängerbrücke.
Ich drücke die 2 und die Tür schließt sich. Ich warte, dass der Aufzug sich in Bewegung setzt, doch nichts passiert. Ich drücke ein zweites Mal auf die 2. Immer noch nichts. Zwei Angestellte der Bundesbahn werden auf mich aufmerksam und probieren mir zu helfen. Die Tür öffnet sich. Ich drücke wieder auf die 2. Die Tür hakt etwas und schließt sich diesmal nicht vollständig. Leider geht sie aber auch nicht mehr auf. Ich stecke fest! Schnell reagieren die Angestellten der Bundesbahn und laufen nach unten, um zu schauen, ob sich dort etwas tut. Es passiert immer noch nichts. Langsam wird mir warm. Aufsteigende Hitze!

Ich sitze in einem Rollstuhl, der wiederum in einem engen Aufzug steckt. Ich kann den Rollstuhl nicht wenden. Ich bin völlig hilflos.
Doch mit einem kleinen Klacken öffnet sich die Tür. Puh! Glück gehabt. Ich rolle wieder zurück, um dieses Mal die Straße mit Hilfe der Ampel zu überqueren. Dennoch: Sowas nervt und kostet Kraft, sowie vor allem Zeit. Wenn es einen Aufzug gibt, muss dieser auch funktionieren, denn als Rollstuhlfahrer verlässt man sich darauf.

Durch den Sophienhof zu rollen macht keinen Spaß. Überall sind Menschen, die einen aufgrund der Sitzhöhe nicht richtig sehen. Ein Ausweichmanöver folgt dem nächsten. Auf dem Weg vom Sophienhof zu Karstadt lasse ich den Tag das erste Mal Revue passieren: Bis jetzt waren nur das Einkaufen bei Aldi sowie der Aufzug in der Stadt nicht komplett barrierefrei. Doch das sollte nicht so bleiben. Karstadt ist nur über große Schwingtüren zu erreichen, die ich alleine nicht öffnen kann. Eine Frau sieht meine Hilflosigkeit und hält mir die Tür auf. Auch durch die nächsten beiden Türen komme ich nicht ohne fremde Hilfe. Doch immerhin wurde mir jeweils, ohne zu fragen, die Tür aufgehalten. Mit einer solchen Hilfsbereitschaft hatte ich vor dem Selbstversuch nicht gerechnet!

War der Boden im Citti Park und Sophienhof so schön zu befahren, sieht das in der Holstenstraße anders aus. Ich rumpele mehr oder weniger über das Kopfsteinpflaster der Fußgängerzone. Ein wenig später bin ich an der letzten Bushaltestelle des Tages angekommen. Naja, die letzte Bushaltestelle zum Einsteigen. Das Aussteigen kommt wieder in Altenholz. Nun noch den Weg nach Hause rollen.
Nachdem ich die Rampe zum Haus hoch überwunden habe, drücke ich den Knopf vom Aufzug. Diesmal probiere ich, rückwärts in den Aufzug zu rollen und den Rollstuhl leicht nach hinten zu kippen. Ich fühle mich kurz schon als richtiger "Profi". Jedenfalls bis ich nach hinten umkippe. Zum Glück habe ich zwei Beine und kann wieder aufstehen.

In meinem Zimmer angekommen, bin ich wirklich froh, denn nach diesem Vormittag tun mir langsam die Unterarme weh.

Später kommt dann noch mein Freund, um Fotos für die Reportage zu machen. Bevor wir uns auf den Weg zum Bus machen müssen, haben wir noch etwas Zeit. So holen wir Mensch- Ärger- dich- nicht aus dem Schrank. Normalerweise setzen wir uns mit dem Spiel auf den Boden. Das ist heute allerdings schwierig. So bauen wir das Spiel auf der Bettkante auf. Mein Freund setzt sich auf das Bett und ich setzte mich mit dem Rollstuhl an den Rand. Ein komisches Gefühl. Die Begegnung mit anderen Menschen ist im Rollstuhl sowieso komisch.
Es betrifft die Sitzhöhe im Rollstuhl: Alle Personen sind mal eben doppelt so groß wie man selbst. Wann immer man mit jemandem redet: Er oder sie schaut auf einen runter. Das ist bei einem Verkäufer oder einer Verkäuferin im Geschäft schon merkwürdig, bei den eigenen Eltern oder Freunden fühlt sich das Ganze dann aber nochmal deutlich kurioser an.
Aber wo war ich stehen geblieben? Richtig, mein Freund und ich machen uns auf den Weg zum Bus. Er geht neben mir her. Auch dies ist wieder ein komisches Gefühl. Das Einsteigen in den Bus ist diesmal natürlich sehr einfach, denn mein Freund kann mir sofort die Rampe rausmachen. Mit dem Bus fahren wir nach Holtenau und steigen leider eine Haltestelle zu spät aus. Dadurch komme ich heute allerdings nochmal in den Genuss, was ein wirklich schlechter Fußweg für einen Rollstuhlfahrer bedeutet: Der Fußweg fällt leicht zur Seite ab und so muss ich mit der einen Hand immer gegen den Schwung der anderen Hand gegenhalten, um die Neigung auszugleichen. Dadurch kann ich nicht mit beiden Händen gleichzeitig Schwung holen und bin dadurch nur halb so schnell.
Umso glücklicher bin ich beim Erreichen unseres Ziels: dem Rewe- Markt in Holtenau.
Hier machen wir noch ein paar Bilder, danach geht es zurück nach Hause. Diesmal allerdings ohne Bus über eine sehr neue und gepflegte Fahrradstraße.
Auf dem neuen und glatten Asphalt entwickele ich eine so hohe Geschwindigkeit, dass mein Freund schon fast in ein Laufen übergehen muss, um überhaupt noch hinterherzukommen.
So ein Untergrund ist natürlich ein Segen im Gegensatz zu Kopfsteinpflaster oder schrägen Bürgersteigen.
Zuhause angekommen verabschiede ich mich und der Tag neigt sich langsam dem Ende zu. Zu meiner abendlichen Routine gehört es, mein Zimmer noch kurz aufzuräumen. Doch auch das ist durch das viele Wenden im Zimmer ganz schön mühselig. Außerdem ist der Schrank zu hoch für mich.
Irgendwann liege ich dann im Bett und denke über den Tag nach.

Mein Fazit:
Ein Rollstuhlfahrer ist froh über jegliche Hilfsbereitschaft, aber natürlich niemals ungefragt. Denn nur, weil ich im Rollstuhl sitze, bin ich ja nicht entmündigt. Ein geübter Rollstuhlfahrer kann den Bus möglicherweise auch ohne Hilfe verlassen. Daher: Vorher immer fragen. Ansonsten ist das entwürdigend für die Person im Rollstuhl. Letztendlich ist Rücksicht gut und Mitleid schlecht. Denn: Die Behinderung ist nicht der Rollstuhl, sondern die Ursache, weshalb die Person in ihm sitzt. Der Rollstuhl ist ein Hilfsmittel, um den Alltag leichter zu machen. Und dies sollte sich jeder Mensch, der einem Rollstuhlfahrer begegnet, immer wieder bewusst machen.×

 
1 Kommentar(e)
  1. Fine
    22. November 2022

    Wunderbar geschrieben! Man merkt, dass du dich wirklich mit dem Rollstuhl auseinander gesetzt hast und wissen wolltest, wie es ist, ein Rollstuhlfahrer zu sein. Ich selbst bin Rollstuhlfahrerin, wenn auch nur Teilzeit, aber ich finde es toll, dass es noch Menschen wie dich gibt, die sich für uns interessieren und nicht egoistisch sind, denn ich muss leider sagen, dass mir mittlerweile immer mehr Menschen begegnen, die einfach vorüber gehen, ohne auf Rollstuhlfahrer oder Menschen mit anderen Behinderungen zu achten. Ich danke dir, dass du dich entschieden hast, diese Erfahrung einmal zu machen! Liebe Grüße Fine

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