Bilder in den Köpfen
Der Kieler Lars Grüning ist Sportjournalist beim NDR – auch für Blinde und Sehgeschädigte
Von Jon Schwarz
KIEL. Im NDR-Fernsehen läuft das Fußball-Drittliga-Nordderby des VfL Osnabrück gegen den SV Meppen. Im Studio in Hamburg sind die Kommentatoren fast permanent am Beschreiben. Das klingt dann so: „Der Spieler vom VfL Osnabrück mit der Rückennummer elf und den lockigen schwarzen Haaren steht mit drei Schritten Entfernung am Elfmeter-Punkt. Der Torwart macht den Hampelmann und fuchtelt mit den Armen." Jedes Detail wird genau beschrieben: Lange Pausen – wie in dem Audio-Kanal für sehende Fernsehzuschauer – kommen in der sogenannten Audiodeskription nicht vor. Einer der Kommentatoren ist Lars Grüning.
Das Hobby zum Beruf gemacht
Der 45-Jährige ist als freier Mitarbeiter beim Norddeutschen Rundfunk tätig. Lars Grüning, der neben Praktika beim Radio und Fernsehen auch ein Volontariat bei Delta Radio absolviert hat, hatte schon in der Schule den Traum, als Sportjournalist zu arbeiten. Und außer Sehgeschädigten-Übertragungen bei Großevents wie Olympischen Spielen oder den European Championships kommentiert er Fußball- und Handballspiele im NDR-Radio, berichtet beispielsweise aus dem Kieler Holsteinstadion oder von den Partien des THW Kiel. Außerdem arbeitet er als Moderator bei Konzerten und Festivals. Olympia ist für ihn „eine besonders große Ehre" gewesen. „Ich habe sozusagen das Hobby zum Beruf gemacht", erzählt er, „denn ich habe schon als Jugendlicher viel Sport gemacht."
Mit „Spickzetteln" vor dem Mischpult
Zurück im Studio: Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes steht ein Mischpult für Einstellungen, ein Laptop gehört bei Lars Grüning auch immer dazu, und an der Wand hängt ein großer Fernseher, auf dem das zu kommentierende Spiel übertragen wird. Osnabrück ist drückend überlegen. Auf den Tisch hat sich Grüning kleine „Post-it"-Klebezettelchen mit Fakten über die einzelnen Spieler der beiden Mannschaften geklebt. „Bei den Übertragungen für Sehgeschädigte sind wir immer zu zweit, ansonsten wäre das kaum machbar bei dem ganzen Beschreiben", sagt Lars Grüning. Einer der beiden achte auf Auswechslungen oder auf wichtige Details aus dem Originalkommentar, den beide auf dem Headset hören.
Vorgaben beim Beschreiben
„Beim Beschreiben haben wir natürlich ein paar Vorgaben", sagt der 45-Jährige. Es gehe dabei viel um Verortung, denn das sei für die Sehgeschädigten besonders wichtig. Am Anfang der Übertragung wird das Drumherum beschrieben wie die Größe des Stadions oder bei anderen Sportarten zum Beispiel die Länge des Spielfeldes oder die Sportgeräte. Zur Vorbereitung auf die Sportarten, mit denen er noch nicht so vertraut ist, gehören viele Fakten und Spielregeln. Bei zwei Workshops zu dem Thema haben Lars Grüning und seine Kollegen auch gelernt, dass sie Geräusche auffangen und erklären sollen, die wichtig sein könnten (wie ein Pressschlag im Fußball), und auch Personenbeschreibungen einbauen können.
Feedback von Blindenverbänden
Das Kommentatoren-Team erhalte viel Feedback von Blindenverbänden, so der 45-Jährige. „Vieles kommt bei den Sehgeschädigten gut an, aber es gibt auch ein paar Verbesserungsvorschläge. Man lernt viel dazu. Und für die zu kommentieren, die nicht sehen können und für die die Übertragungen etwas Besonderes sind, ist einfach schön." Der gebürtige Schleswig-Holsteiner aus Neustadt an der Ostsee hat jedoch auch einen Wunsch: „Ich habe zwar schon als Moderator für Sehgeschädigte und als Radioreporter viele Großevents erlebt, doch natürlich würde ich auch gern einmal den originalen Kommentar im Fernsehen sprechen."
„Der Spieler des VfL Osnabrück nimmt zwei Schritte Anlauf, verzögert und schießt mit der Innenseite in den linken Winkel des Tores. Toll geschossen! Der Osnabrücker Fanblock jubelt, und weißer und lila Rauch in den Vereinsfarben steigt von den Bengalos auf." Lars Grüning erzeugt Bilder in den Köpfen der Menschen, die ihm nur zuhören können.
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