Das Sternenzelt der Algen

Lisa Blunk, Gymnasium Altenholz, 9c 21. November 2022 1 Kommentar(e)
Krischel- ein Gemisch aus Muschelresten, kleinen Hölzchen und winzigen Meerestierchen © Lisa Blunk Bernstein im UV-Licht © Lisa Blunk Mein erfolgreichster Fund der Woche © Lisa Blunk Ein kleiner goldener Schatz auf einer UV-Lampe © Lisa Blunk Malte Rolfs (49)- ein leidenschaftlicher Bernsteinsammler © Lisa Blunk Malte bem Bernsteinsuchen- eine Harke, Kescher und seine Lampe sind ein Muss © Lisa Blunk Vom Bernsteinfieber gepackt © Lisa Blunk Unsere UV-Lampen- die Zauberstäbe des Bernsteinsammelns mit UV-Lampen © Lisa Blunk Bernsteinausbeute © Lisa Blunk

Krz, krz. Mit lautem Knacksen zerbrechen Muschelreste unter meinen dunkelgrünen,,­olivfarbenen Gummistiefeln. Um mich herum ist es finster. Der scharfe Wind lässt die Wellen im Schein meiner Kopflampe tanzen. Sie tanzen und kämpfen gleichzeitig mit dem Wind. Dann brechen sie mit einem lauten Tosen. Ich atme die salzige Seeluft ein und dann langsam wieder aus. Mein Atem hebt sich weiß vor der Dunkelheit ab. Im blauen Licht meiner Kopflampe blitzt ein gelbleuchtender Stern inmitten der Algen auf. Es ist das Gold des Meeres, was ich vor mir sehe.
Ich stehe an der Westküste Dänemarks auf einem endlos langen Autostrand. Die Dunkelheit hüllt mich vollkommen ein. Nachdem der Vollmond langsam hinter den Dünen aufgestiegen ist, schwebt er schräg hinter mir am pechschwarzen Himmel. Er leuchtet in einem knalligen Orange, kurz verschwindet er hinter den grauen Wolken. Danach blitzt er wieder auf.Vor mir liegt das stürmische Meer. Leise, fast geheimnisvoll umspült das Meer meine großen Gummistiefel. Trotz des Windes ist mir warm. Dick in meine Winterjacke eingepackt, suche ich Bernstein mithilfe einer Kopflampe, die UV-Licht und normales Licht leuchten kann. Den Bernstein erkenne ich aber nur im UV-Licht. So sehe ich das Sternenzelt der Algen vor mir und der Große Wagen schwebt funkelnd über mir.
Aber nun von vorn. Meine Familie und ich fahren in den Herbstferien an die Westküste Dänemarks, um Bernstein zu suchen. Wir fahren ins gleiche Feriencenter wie immer. Es ist schon dunkel, als wir am Fähranleger ankommen. Nachdem wir das Festland verlassen haben und mit der Fähre auf die heimelig beleuchtete Insel zusteuern, sieht man schon von Weitem die gelben Fenster der alten Fachwerkhäusern, die an der Promenade stehen. Lichterketten baumeln von alten, verschnörkelten Straßenlaternen herunter und in den vielen gelben Fenstern stehen antike Lampen. In unserer Wohnung angekommen, entscheiden wir uns diesen Abend erst mal in Ruhe auszupacken.

Am nächsten Tag sitzen wir am Frühstückstisch und Papa guckt auf den Tiedenplan. Dieser zeigt, wann Ebbe und Flut ist. Nach dem Frühstück gehen wir das erste Mal an den Strand. Der Wind pustet uns um die Nasen und durchweht mein Haar. Die Sonne scheint herrlich und spiegelt sich beinahe magisch auf den kleinen Wasserpfützchen an der Wasserkante. Wir suchen nach Bernstein und sind begeistert, denn selbst im Hellen finden wir gut. Ich finde mehrere 5 Cent große Bernsteine und am Ende habe ich nahezu eine volle Hand von dem Gold des Meeres.

Die Sonne ist hinter dem Horizont verschwunden und es fängt an zu dämmern. Die Wolken leuchten noch in Zartrosa, Pastelblau und in einem satten orange. Der Wind ist etwas abgeklungen und die Luft ist salzigklar. Das Wasser läuft ab. In ungefähr drei Stunden ist Ebbe.
Ich schlüpfe in meine wärmste Hose, meinen wärmsten Pullover und ziehe extra gefütterte Gummistiefelsocken an. Meine Mütze, Schal, die Kopflampe und meinen Fotoapparat verstaue ich in meinem Rucksack. Meine Jackentasche hat eine große Beule, denn in ihr steckt eine alte Kaugummidose für meinen gesammelten Bernstein. Wir steigen alle vier ins Auto und unsere Hündin legt sich in ihr Reich im Kofferraum. Die ungefähr zehnminütige Fahrt beginnt.

Es regnet nicht, also ist der Strand trocken. Unser Auto ruckelt auf einer Art Straße lang, eine Bahn mit festgefahrenem Sand, die sich über den ganzen Strand zieht. Es gibt mehrere solcher Straßen. Hinter oder vor den Dünen, am Wasser oder ziemlich in der Mitte des Strandes. Wir fahren zu dem Ort, wo wir auch schon im Hellen so viel gefunden haben. An der Stelle, an der wir anhalten, liegt viel Krischel. So nennen wir das Gemisch aus Algen,kleinem Holz und Muschelresten. Das ist ein gutes Zeichen. Ich gucke aber, dass nicht so viele Muscheln im Krischel liegen, denn da liegt erfahrungsgemäß nicht so viel Bernstein. Wenn ich nach links und rechts entlang des Strandes gucke, liegt gefühlt endlos viel Krischel in beide Richtungen. Ein Kribbeln der Freude steigt in mir hoch. Ich bin gespannt. Ich schalte mit einem leisen Klick meine UV-Lampe ein und leuchte vor mir auf das Krischel. Eine Fußlänge vor mir leuchtet in einem satten Goldgelb ein kleiner Stein auf. Ich fummel meine Dose aus meiner Jackentasche und mit einem gekonnten Schnipsen landet der Bernstein in der Dose. Ich leuchte weiter und finde direkt den nächsten. Das Krischel ist nass und so werden meine Finger immer nasser. Dies macht das Schnipsen der Bernsteine in die Dose schwieriger und ich muss aufpassen, dass keiner meiner Bernsteine mit dem Wind weg fliegt. Ich drehe mich Richtung Auto um. Auch wenn es mittlerweile fast stockdunkel ist, erkenne ich es durch die Parkleuchte, die wir brennen gelassen haben. Sonst verliert man sein Auto hoffnungslos.
Aber es ist falsch zu denken, man sei alleine am Strand. Links und rechts von mir leuchten mehr als zwei Dutzend blaue Lampen. Von Familien zu professionellen Sammlern, die mit ihren Mofas oder Quads an der Wasserkante entlang fahren und nur bei großem Bernstein anhalten, um sie aus dem trüben Wasser zu keschern.
Von Jahr zu Jahr werden es immer mehr blaue Lampen.

Doch was ist Bernstein überhaupt und warum leuchtet er so goldgelb wenn ich ihn mit meiner UV-Lampe anleuchte?
Bernstein ist ein fossiles Harz. Dieses Harz stammt von einer noch unbekannten Baumart. Oft wird der baltische Bernstein gefunden, er ist ungefähr 40-90 Millionen Jahre alt. Der älteste bekannte Bernstein ist etwa 310 Millionen Jahre alt, so kann sich das Alter des Bernsteins extrem unterscheiden. Der Bernstein ist ein international beliebtes Schmuckstück. Er kommt in allen erdenklichen Farben vor, von fast weiß bis schwarz, von grün bis rot und von blau bis zum bekannten Honiggelb. Am häufigsten wird der milchig-weiß-gelbe gefunden. Sollte man einen Bernstein finden, ist es zu empfehlen, ihn in eine Plastikdose zu packen, da er leicht mit dem schnellentzündbaren Phosphor verwechselt werden kann. Dieses kann sich sogar bei Körperwärme entzünden und dann zu großen Verbrennungen führen, da der Brand nicht mit Wasser gelöscht werden kann. Es gibt aber auch allgemeine Tests, die man leicht durchführen kann, um heraus zu finden, ob man einen Bernstein in der Hand hält. Klopft man zum Beispiel den Bernstein gegen einen Zahn, wird sich dieser ganz anders anhören als ein herkömmlicher Stein. So kann man ihn auch anzünden, er wird dann langsam verdampfen.

Bernstein leuchtet unter UV-Licht ,weil er ein autofluoreszenter Stoff ist. Das bedeutet,wenn das Licht,mit dem man ihn anstrahlt, eine bestimmte Wellenlänge hat, dann leuchtet er mit einer höheren Wellenlänge zurück. Als „perfekte„ Wellenlänge zum Bernstein suchen eignet sich 395nm.

Einige Tage später treffe ich Malte Rolfs (49). Er sammelt schon seit mehreren Jahren Bernstein. Mit und ohne seine UV-Lampe. Wir haben uns für ein Interview verabredet. Auf die Frage warum er hier sei, antwortet er, er sei mit seiner Familie im Urlaub. Dieses Jahr verknüpfen sie Bernstein sammeln mit dem Familienurlaub. Er erzählt mir von seiner Geschichte zum Bernsteinsammeln. „Meine Mutter hat früher mit mir fast alle zwei Jahre Bernstein gesammelt, natürlich noch ganz herkömmlich ohne Kopflampe und sonstigen Schnickschnack. Da war es schon immer etwas sehr Besonderes, diesen goldenen, manchmal durchsichtigen oder milchigen Stein in der Hand zu halten. Wenn mir dann bewusst wurde , wie alt dieses Teil ist, ich weiß nicht ,ich finde das einfach unfassbar." 2017 habe er dann einen Artikel über das Bernsteinsammeln mit UV-Lampen gelesen und „musste es einfach in meinem nächsten Urlaub ausprobieren,so ging dann auch der nächste Urlaub an die Westküste Dänemarks. Nachdem wir die ersten Steine gefunden haben, waren wir mitten im Jagdfieber". Auch heute reize ihn das Funkeln der Bernsteine und die Chance, immer noch einen größeren zu finden. „Mein größter Bernstein, mmh, ich denke, der war fast faustgroß und natürlich hoffe ich, dass ich irgendwann den Riesenklunker finde." Ich frage ihn, ob er lieber im Hellen oder um Dunkeln sammelt geht. Er muss kurz überlegen und es fällt ihm sichtlich schwer sich zu entscheiden. Er geht dann einen Kompromiss ein. „Bernstein suchen im Hellen, Bernstein aufsammeln im Dunkeln."
Er beschreibt mir eine Situation, die er einmal vor ein paar Jahren erlebt hat. „Da gehe ich so am Strand lang, meine Kopflampe auf den Boden gerichtet und höre plötzlich lautes Atmen. Nach einem Schwenk mit meiner Lampe erkenne ich einen mannsgroßen Seehund ein paar Meter neben mir liegen. Das war schon krass, aber Angst hatte ich nicht." Er zeigt mir dann seine Ausrüstung, die er immer beim Sammeln dabei hat. Er holt eine Kopflampe heraus. Es ist genau die Gleiche, die ich auch habe. Für die anderen Utensilien müssen wir zum Auto gehen. Malte zieht einen kleinen Kescher aus dem Kofferraum, „der ist, um Bernstein aus dem Wasser zu keschern, leider sind die Maschen des Netzes ein bisschen groß, um auch etwas Kleinere mitzunehmen". Auch eine Harke zieht er heraus.

Am nächsten Tag geht die Suche wieder los. Viele Autolichter strömen wie viele kleine Bienen an den Strand. Als hätten sie eine frisch, nach Frühling duftende Blumenwiese gefunden und müssten nun so schnell wie möglich, den frischen Nektar in ihren Bienenstock tragen. Bloß sind die Lichter keine Bienen. Es sind Autos, in denen Menschen sitzen, die das Bernsteinfieber gepackt hat, die auf den großen Klunker hoffen und deswegen nachts, eingepackt in ihre wärmste Kleidung am Strand entlang wandern. Auch ich bin so eine Person. Ich kenne kein Gefühl, was mehr bezaubert, als wenn ich meine Lampe schwenke und einen größeren Bernstein im blauen Licht entdecke. An diesem Abend mache ich meine Kaugummidose bis zum Rand voll. Ich glaube, dass war mein bis jetzt erfolgreichster Fund. Auch wenn man als Einheimischer in einer Bernsteinsaison, die von ungefähr Oktober bis spätestens April geht, fast 5 Kilo findet, bin ich mit meiner vollen Dose mehr als zufrieden. Ich konnte von einem Krischelpunkt direkt zum anderen gehen, musste mich nur bücken und aufheben. Das ist das Schönste. Nach einer halben Stunde treffe ich Olaf, er ist Vater von zwei Kindern und wohnt auf der Insel. Er spricht fließend Deutsch und wir unterhalten uns. Er sammelt fast jeden Abend Bernstein und poliert es danach. Seine Frau hat sich aus selbst gefundenem Bernstein sogar ein Ohrringpaar gemacht und er trägt seinen Lieblingsstein an einer Lederkette um seinen Hals. Auch er hat wie viele Einheimische seine Lieblingsspots zum Sammeln. Diese sind gut gehütete Geheimnisse. Er erzählt mir aber, wie viel er findet. Nach einem durchschnittlichen Abend hat er ungefähr ein Kilo Bernstein vor sich liegen.

Nach einer Woche fahren wir wieder nach Hause. Sieben Tage voller salziger Meerluft, goldenem Bernstein, grüner Gummistiefel und meiner dicken Winterjacke gehen zuende.

 

 
1 Kommentar(e)
  1. Maja
    21. November 2022

    Wow, echt schöner Text! Ich finde es toll, wie anschaulich du alles beschrieben hast :-)

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