Das Wort, das verletzt, ohne Spuren zu hinterlassen

Jana Wetzel, 8b, Ricarda-Huch-Schule 21. November 2022 1 Kommentar(e)
Mobbing: Die Schäden sind oft Jahrzehnte sichtbar © Jessicalyss, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

"Ein Wort, das trifft,vermag zu töten oder zu demütigen, ohne dass man sich die Hände schmutzig macht. Eine der großen Freuden des Lebens ist es, seinesgleichen zu demütigen." -Pierre Desproges

Tyler quält sich, wie jeden Tag,zur Schule. Als er in die Klasse kommt, wird er direkt von Brigitte begrüßt: „Och schade, lebst ja immer noch." Das ist der Beginn des Tages für viele Schüler.

Das Geflüster im Flur, das Lachen ohne Scham, die Demütigung im Büro, der Diebstahl der Identität, der Bruch eines Menschen. All das und mehr ist Mobbing. Jedoch ist das einmalige Ärgern oder Aufziehen einer Person kein Mobbing. Wenn regelmäßige, systematische Attacken über einen längeren Zeitraum, ungefähr sechs Monate, stattfinden, die zielgerichtet jemanden ausschließen, die versuchen, einen Menschen zu isolieren, dann spricht man von Mobbing.

In Deutschland muss eine klare Täter-Opferbeziehung vorliegen, sprich: Das Opfer muss in der unterlegenen Position sein und subjektiv leiden. Im Gegensatz zu Frankreich, wo schon der Mobbing-Vorgang ausreicht, um als solcher anerkannt zu sein.

Mobbing ist ein allgegenwärtiges Thema in unserer Gesellschaft, denn Mobbing kann überall stattfinden. Das dauerhafte Schikanieren beginnt schon im Kindergarten und verstärkt sich immer weiter. Mobbing tritt am häufigsten in den Klassenstufen fünf bis sieben auf, oft in Form der körperlichen Gewalt. In Deutschland wird im Schnitt jeder sechste Schüler, der über 15 Jahre alt ist, ein Opfer von Mobbing. Dieses Ergebnis brachte die Pisa-Studie 2015 der OECD hervor. Der Mobbing-Report 2002 zeigte, dass jeder Vierte im Berufsleben damit rechnen kann, gemobbt zu werden.

Die 30-jährige Gisela hat vor ein paar Monaten ihre Beförderung erhalten. Seitdem macht Herbert, der Abteilungsleiter, ihr das Leben schwer. Er setzt ihre Arbeitsleistung herab, macht sich über kleinere Missgeschicke lustig und bezweifelt ihre Fähigkeiten, einen Computer zu bedienen, zu schreiben, zu rechnen. Im Berufsleben zeigt sich Mobbing besonders zwischen 30 und 55 Jahren. Das liegt daran, dass man bis 30 meistens die größten Karriereschritte hinter sich hat und es ab 55 nur noch ein paar Jahre bis zur Rente sind. Da interessiert es häufig nicht mehr wirklich, was man macht. Dies nennt man Bossing. Bossing ist eine Art von Mobbing, wo ein höher Gestellter einen Untergebenen mobbt - von oben nach unten.

Es gibt viele verschiedene Arten von Mobbing, vielleicht haben sie schon mal davon gehört, dass ein Lehrer von Schülern gemobbt wird. Dies nennt man dann Staffing - von unten nach oben. Bullying ist, wenn in der Schule die Schüler einander mobben. Jedoch ist Stalking die einzige Art der seelischen Gewalt, gegen die es ein explizites Gesetz gibt.

„Warum ich? Warum immer ich?", ist die am häufigsten gestellte Frage der Opfer. Einer der Gründe ist wohl, weil sie aus der Menge herausstechen, sich anders kleiden als dort „normal" ist, nicht so aussehen wie alle anderen. Äußerliche Merkmale bieten dem Aggressor reichlich Angriffsfläche. Insbesondere Leistungsträger sind ein häufiges Ziel dieser Attacken. Um diese zu schwächen und damit die eigenen Leistungen besser aussehen zu lassen, machen sie ihnen das Leben schwer. Denn Missgunst, sozialer Status und Neid spielen häufig eine große Rolle beim Mobbing, teilweise auch Geschlechterrollen.

Wie kann es überhaupt so weit kommen? „Bei gefühlten 90 % der Fälle ist eine fehlende Aufsichtskraft der Grund", sagt der Spezialist Thorsten G. Die Täter und Opfer sind niemals die einzigen, die in diesen Tatbestand verwickelt sind. Alle drumherum sind involviert. Die Angst, der Nächste zu sein, bewegt sie dazu wegzusehen, mitzumachen; oder es zu sehen, aber nichts zu tun.

Es sind bei Tyler die Klassenkameraden, bei Brigitte die Arbeitskollegen. Thorsten G. sagt: „Die Leute, die wegschauen oder nichts machen, machen Mobbing erst möglich." Bei Mobbing in der Schule reicht es einfach nicht, dass sich Täter und Opfer nur aussprechen. Es ist ein Problem der ganzen Gruppe. Gerade in der Schule ist es unvermeidlich, dass andere es bemerken. Wenn sie wegen der Angst, der Nächste zu sein, nichts unternehmen, tragen sie eine Teilschuld am Leiden des Opfers.

Kevin wird gemobbt und das weiß er auch. Er weiß nicht, zu wem ergehen soll. Er hat Angst, dass seine Eltern es nur herunterspielen. Seine Freunde unternehmen nichts, weil sie nicht die nächsten sein wollen. Also, wo soll er hin? Was soll er machen? Genau für solche Fälle gibt es JUUUPORT oder die Nummer gegen Kummer, eine telefonische Seelensorge. Natürlich kann man auch therapeutische oder psychologische Fachkräfte aufsuchen, nur muss dann das Honorar bezahlt werden. In der Schule sind die Schulsozialarbeiter*innen die Ansprechpersonen. Manchmal kann der Gemeindepfarrer/-pastor auch eine wunderbare Anlaufstelle sein, denn dort kann es gut ausgebildete Leute geben. In jedem Fall sollte man darüber sprechen. Anders kann einem nicht geholfen werden.

Wenn einem nicht geholfen wird, man nicht darüber spricht und man das grausame Erlebnis nicht aufarbeiten kann, muss man häufig ein Leben lang leiden. Die Folgen dieser meistens psychisch erfolgten Misshandlung sind leichte bis hin zu schweren depressiven Verstimmungen oder Angststörungen. Gerade bei jungen Leidtragenden ist dies häufig der Fall. Es kann sogar zu einer posttraumatischen Belastungsstörung oder einer Persönlichkeitsstörung kommen. Im schlimmsten Fall kann es zu versuchten bis hin zu vollzogenen Suiziden kommen. Diese Torturen sind meistens kaum vorstellbar. Man glaubt es nicht wirklich, bis man es sieht, die unmittelbare Gewalt.

Nach Mobbing ist man nicht mehr dieselbe Person. Die Schäden sind oft Jahre, Jahrzehnte danach noch sichtbar. Täter hänseln, weil sie damit seine eigenen Probleme kompensieren können, sie verspüren ein Gefühl von Macht, Glück, da niemand sie aufhalten kann, in ihrem Verständnis. Sie verschließen die Augen vor der Realität, sie sehen nicht, dass damit ein Leben zerstört wird. Am Ende heißt es: Ich wusste es nicht, ich wollte nicht,es war mir nicht bewusst, dass es solche Auswirkungen hat.

Manchmal ist die Intention der Aggressoren jedoch sehr wohl, den Leidtragenden zu zerstören, gezielte Attacken auf die Verbindungen der sozialen Kontakte sind ein Beispiel. Täter verbreiten gerne Gerüchte, damit sich soziale Kontakte entfernen, um den Geschädigten zu isolieren. Viele Opfer werden Täter, weil sie diese Misshandlung nicht noch einmal erleben wollen. Damit schützen sie sich, in dem sie den sozialen höheren Status haben. „Ein hoher Prozentsatz dieser Leute werden bei fehlender Hilfeleistung ab 17 kriminell" so Thorsten G., ein Therapeut, welcher seit 15 Jahren eine eigene Praxis hat.

Ein Lösung-Ansatz für dieses Problem ist, die Kinder von Anfang an für Mobbing zu sensibilisieren. Regelmäßige Aufklärungen, Präsenz zeigende Aufsichtskräfte wären ein großer Schritt, um dieses immerwährende gesellschaftliche Problem zu minimieren. Auch kann man auf staatlicher Ebene noch viel tun. Ein allgemeines Anti-Mobbing Gesetz wäre eine Möglichkeit. Eine andere wäre, dass nicht das Opfer, sondern der Angeklagte in der Beweispflicht ist, so wie es in Frankreich gehandhabt wird.

In Frankreich gibt es nämlich ein Gesetz, in dem Mobbing am Arbeitsplatz bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe und 100.000 Euro bestraft wird. Dieses Gesetz ist seit 2001 aktiv. In dem neuen Gesetzesentwurf von 2022, für Mobbing an Schulen, kann es bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe und 45.000 Euro Strafe kommen. Bei vollzogenen oder versuchten Suiziden kann die Strafe auf 10 Jahre und 150.000 Euro steigen. Dies gilt für Schulen, Universitäten und sowohl für die dort Angestellten sowie für Schüler*innen. Außerdem reicht bereits der Vorwurf des Mobbings für einen Gerichtsprozess. Der angebliche Täter muss dann beweisen, dass kein Mobbing stattgefunden hat. Dies kann auch problematisch sein, da es durchaus schwieriger sein kann, seine Unschuld zu beweisen.

In Deutschland gibt es nicht mal eine allgemeine Gesetzesgrundlage dafür. Mehrere Versuche, eine solche Grundlage zu schaffen, sind gescheitert. Es ist unwahrscheinlich, dass in nächster Zeit ein neuer Entwurf für dieses Gesetz kommen wird. Doch kann es so weiter gehen? "Doch was immer wieder auffällt in diesen Leidensgeschichten, ist die Wiederholung: Was jeder für einzigartig hielt, teilen in Wahrheit viele andere mit ihm." - Übersetzt von Marie-France Hirigoyen und geschrieben von Michael M.

 
1 Kommentar(e)
  1. Lilli
    23. November 2022

    Liebe Schreiber, das ist eine unglaublich gute Reportage. Man kann sich in die gezeigten Personen hineinversetzen und besonders wenn man selbst gemobbt wird, versteht man gezeigtes. Du hast einen richtig guten Text gemacht, mach bitte so weiter! LG, du bist toll!!

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