"Der Tod gehört zum Leben"

Niela Siri Preiß, 9c, Gymnasium Altenholz 14. November 2022 2 Kommentar(e)
Elternzimmer © Niela Siri Preiß Aufenthaltsraum © Niela Siri Preiß Garten © Niela Siri Preiß Schlafzimmer © Niela Siri Preiß Dachterrasse © Niela Siri Preiß Rückzugsraum für Angehörige © Niela Siri Preiß Snoezelenraum © Niela Siri Preiß

Samstagmittag im Hospiz „Lindentor" in Gettorf.
Pflegedienstleiterin Barbara Lehmann schiebt ein kleines Mädchen im Rollstuhl durch die Eingangshalle. Die direkte Pflege der Gäste – wie die Bewohner des Hospizes hier liebevoll genannt werden – gehört eigentlich nicht zu ihren Aufgaben, doch auch hier schränken Covid19 und die Kontaktbeschränkungen das normale Arbeitsleben ein. Am Empfang sitzen zwei nette Damen, die mir Fieber messen, als ich das Haus betrete. Dadurch wird das Risiko minimiert, dass infizierte Personen das Gebäude betreten.
Hier im „Lindentor" herrscht gute Laune. Frau Lehmann schiebt das Mädchen in einen Raum. „Elternwohnzimmer" wird er genannt. Viele Spielsachen liegen herum und neben einer großen Couch befinden sich noch ein Tisch und eine kleine Küchenzeile darin. Licht fällt durch die vielen großen Fenster und erschafft eine geborgene Atmosphäre. Wir setzen uns und Barbara Lehmann beginnt zu erzählen, während sie das Mädchen mit Joghurt füttert.
Das Lindentor ist ein „Ort der Ruhe", an den Menschen mit lebenseinschränkenden Diagnosen kommen, um die Zeit des Aufenthaltes zu genießen – Kinder wie Erwachsene. Normalerweise sei eine Kombination aus beidem – Kindern und Erwachsenen – nicht möglich, da es speziell geschultes Personal für beide Bereiche gibt, das sich hier sowohl auf Kinder als auch auf Erwachsene einlassen muss. Doch seit der Gründung vor zwei Jahren habe das Hospiz nur gute Erfahrungen gesammelt mit diesem sehr ungewöhnlichen Projekt.
Angefangen hat alles vor 10 Jahren mit dem ambulanten Hospizdienst, gegründet von Dr. med. Dr. phil. Friederike Boissevain. Durch ihre Willenskraft und ihr unermüdliches Engagement bekam sie die Genehmigung, ein Hospiz zu schaffen, das seinen ersten Gast am 19.10.2020 empfing.
Schirmherr des Lindentors ist Ministerpräsident Daniel Günther. Das Land unterstützte den Bau mit rund einer Million Euro, aber auch Daniel Günther selbst steht hinter dem Projekt und dankte den Beteiligten im Rahmen der Eröffnung vor zwei Jahren für ihren „unermüdlichen Einsatz und ihr finanzielles und ideelles Engagement".
Das Hospiz hat acht Betten für Erwachsene und zwei Betten für Kinder. Während die Erwachsenen bis zu ihrem Tod im „Lindentor" leben ( ein Gast wohnte ganze 11 Monate dort, ein anderer nur 12 Stunden), haben Kinder Anspruch auf vier Wochen Aufenthalt im Jahr, sterben also meist nicht dort. Bei den Kindern geht es darum, ihnen eine geschützte und friedliche Atmosphäre zu schaffen und die Angehörigen zu entlasten.
Nach dem ersten Aufenthalt, der immer mit den Erziehungsberechtigten zusammen stattfindet, um das Kind kennenzulernen, können Kind und Familie selbst entscheiden, ob das Kind für die Zeit allein im Hospiz wohnt, oder ob die Eltern mit dort bleiben wollen. An jedes der mit Fernseher, Schränken und großem Bett ausgestatteten Kinderzimmer grenzt ein Elternzimmer an.
Bei der Frage nach der Arbeit mit den Menschen im Hospiz lächelt Frau Lehmann. „Die Arbeit hier ist vor allem sehr befriedigend. Wir haben viel Zeit für die Gäste – durch einen guten Personalschlüssel." Und das bleibt nicht unbemerkt: Überall sieht man Angestellte und Ehrenamtliche. Die Ehrenamtlichen kochen am Wochenende (und manchmal auch unter der Woche) das Essen für die Gäste und deren Angehörige – es gibt sogar eine Speisekarte mit mehreren Gerichten, aus denen ausgewählt werden kann. Heute gibt es Auflauf. Der Geruch zieht von der Küche, an die ein großer Raum voller Tische und Stühle angrenzt, in dem sich normalerweise sowohl Gäste als auch Familienmitglieder aufhalten, was aufgrund der Corona-Pandemie momentan nicht möglich ist, in die Eingangshalle. Schaut man aus dem Fenster, erblickt man eine Terrasse und einen großen Garten mit viel Natur. Die Zimmer sind alle großzügig eingerichtet und haben Zugang auf die angrenzende Terrasse. Die Türen sind so breit, dass die Betten problemlos nach draußen geschoben werden können. An die Zimmer für Erwachsene grenzt ein barrierefreies Badezimmer an.
Über einen Fahrstuhl kann jeder Gast die große Dachterrasse erreichen, die einen tollen Blick auf den Garten bietet. Es gibt außerdem einen Sitzungsraum und einen Rückzugsort für Angehörige.
Mit verschiedenen Angeboten soll die Zeit so schön wie möglich gestaltet werden. So kann man einen Musiktherapeuten oder die Therapiehunde treffen oder einfach ein nettes Gespräch mit den Ehrenamtlichen führen. Auch der sogenannte „Wünsche-Wagen", ein umgebauter Rettungswagen, kommt ab und zu und erfüllt nach Möglichkeit die letzten Wünsche der Bewohner.
Natürlich gibt es auch Menschen, die einfach etwas Ruhe wollen, besonders, wenn die Symptomlast sehr hoch ist. Häufige Symptome sind Schmerzen, Übelkeit und auch Angst. Besonders gut geeignet zum Entspannen ist der Snoezelenraum. Dort wird durch einen Sternenhimmel, beruhigende Musik oder Vibration eine komplett entspannte Umgebung geschaffen, während man auf einem großen Wasserbett liegt. Dieser Raum wird nicht nur von den Gästen des Hospizes genutzt, sondern auch von den Angehörigen, die dort mit den verschiedenen Effekten zur Ruhe kommen können.
„Aber es werden bei den Gästen hier nie alle Effekte eingeschaltet – besonders nicht bei den Kindern, die häufig unter Krampfanfällen leiden ", erklärt Frau Lehmann. So ein Krampfanfall kann zum Beispiel durch die Vibration ausgelöst werden.
Barbara Lehmann schiebt das Mädchen in ihr Zimmer: Es ist Zeit für den Mittagsschlaf. Behutsam hebt sie die Kleine ins Bett, deckt sie zu und schaltet eine Geschichte ein. Leise verlassen wir den Raum. Auf einem kleinen Bildschirm kann Frau Lehmann das Mädchen beobachten und schnell helfen, falls etwas passieren sollte.
Um einen Platz im Hospiz zu bekommen, braucht man eine lebensverkürzende Diagnose (eine Lebenserwartung von Tagen, Wochen oder wenigen Monaten) und eine hohe Symptomlast. Zieht man in das Hospiz, fallen keine zusätzlichen Kosten für den Gast an, da die Krankenkasse 95 Prozent der anfallenden Kosten übernimmt. Die restlichen 5 Prozent werden über Spenden bezahlt.
Im „Lindentor" gibt es rund um die Uhr Ansprechpartner, auch die Angehörigen können jederzeit und ohne Anmeldung, jedoch mit Beachtung der Coronaregeln, zu Besuch kommen. Aufgrund der Ansteckungsgefahr dürfen nur zwei Besucher zeitgleich in das Zimmer eines Bewohners. Außerdem gilt überall FFP2-Maskenpflicht.
Ist eine Person gestorben, wird sie durch die Vordertür nach draußen gebracht – genauso, wie sie auch hereingekommen ist. „Der Tod gehört zum Leben, auch wenn die Leute nicht darüber reden wollen ", meint Barbara Lehmann. Das Zimmer des Verstorbenen wird mit Weihrauch ausgeräuchert. Jeder Tote bekommt einen Stein mit Namen und Sterbedatum. Diese Steine werden dann am Strand ins Wasser gelassen.
Die wasserlösliche Farbe wäscht sich ab, doch die Erinnerung an den Menschen bleibt.

 
2 Kommentar(e)
  1. Lisa
    23. November 2022

    Hey Niela, das ist ein total toller Text. Und so klar und gefühlvoll geschrieben. Besonders mag ich den letzten Satz. Das ist wirklich ein megaa Schlusssatz.
  2. Andrea
    27. November 2022

    Sehr gefühlvoll geschrieben!

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