Deutschlands weiße Botschafterin

Kalle Kühl, 8b, Ricarda-Huch-Schule 21. November 2022 1 Kommentar(e)
Die Gorch Fock an ihrem Heimathafen-Liegeplatz am Kieler Marinestützpunkt, 2022 © Sascha Gniosdorz, CC BY 4.0 , via Wikimedia Commons

Ein ehemaliges Besatzungsmitglied erinnert sich an seine Zeit auf der Gorch Fock.

Kiel: Wenn man beim Kieler Hafen spazieren geht, sieht man Ruderboote, Segelschiffe und auch Motorboote, welche hier vor Ort liegen. Doch selbst, wenn man diese Kulisse schon oft gesehen hat, fällt ein besonderer Dreimaster jedes Mal aufs Neue ins Auge. Die Rede ist von der Gorch Fock, einem der ältesten und größten Segelschiffe, die hier im Hafen liegen.

Gebaut wurde die Gorch Fock 1958 von der Schiffswerft Blohm und Voss. Sie ist 90 Meter lang, 12 Meter breit und hat 3 Masten mit insgesamt 23 Segeln mit welchen sie eine Geschwindigkeit von bis zu 17 Knoten (30 km/h) erreichen kann. Ihre Kosten beliefen sich auf über 8,5 Millionen D-Mark.

In Privatbesitz ist dieses Schiff nicht, es gehört seit jeher der Marine, die es für die Ausbildung von Offizieren und Unteroffizieren nutzt. Auch Wehrpflichtige können sich für eine Jahresreise an Bord der Gorch Fock entscheiden.

„Die Mannschaft besteht aus gut 200 Mann, aufgeteilt in Stammbesatzung und Segelcrew. Das bedeutet zwar viel Gemeinschaft, aber kaum Platz für Privatsphäre", erzählt Meno Kühl, ein ehemaliger Rekrut. "Auch 1 Jahr getrennt von seiner Familie zu sein, ist natürlich nicht schön. Aber die wunderbaren Orte, die wir bei der Reise gesehen haben, machen dies wieder wett."

Die Gorch Fock fährt jedes Jahr auf Auslandsreise an die verschiedensten Orte, wie Afrika oder die USA, und nimmt dort zum Beispiel an Segelparaden und Regatten teil. Sie vertritt bei solchen Events nicht nur Kiel, sondern die Marine der Bundesrepublik Deutschland. Unter anderem ist sie auch unter dem Titel „Botschafter Deutschlands unter Segeln" weltweit bekannt.

Meno Kühl ist 1992 als Sanitäter in der Stammbesatzung ein Jahr mit der Gorch Fock im Rahmen der Kolumbusregatta um die Welt gesegelt. Noch heute trifft sich die damalige Crew regelmäßig und erinnert sich an die schöne Zeit von damals. Viele lustige Geschichten machen dabei immer wieder die Runde. Die Anekdote, dass ein Matrose seinen gesamten Monatssold in einem einschlägigen Etablissement in Kanada gelassen hat und als Souvenir ein großes tätowiertes Einhorn mit an Bord brachte, sorgt bis heute für große Erheiterung.

Im Laufe der Zeit entstanden immer wieder hohe Kosten für den Erhalt des Segelschulschiffes. Im Jahre 2015 sollte erstmals eine Grundinstandsetzung durchgeführt werden, wofür 10 Millionen Euro veranschlagt wurden. Tatsächlich belief sich der anschließende Betrag auf 135 Millionen Euro. Noch heute ermitteln die Polizei und die Staatsanwaltschaft wegen Korruptions- und Veruntreuungsverdacht in diesem Fall, wegen der hohen Geldsumme.

Die Gorch Fock ist inzwischen zwar wieder voll einsatzfähig, allerdings findet seit 2020 ein Teil der Ausbildung auf dem Schiff Alexander von Humboldt II statt. „Ich bin lediglich auf der Gorch Fock gesegelt," erzählt Meno Kühl, „Zu der Zeit war ich ein Wehrdienstleistender und gehörte der Stammbesatzung an. Die ausgewählten Offiziere und Unteroffiziere gehörten der Segelcrew an und mussten noch andere Pflichten, zum Beispiel Wachen und Decksdienst bewältigen."

Zu den Aufgaben in der Segelausbildung gehört unter anderem auch das mehrfache Aufentern (erklettern) eines Mastes und der Rahen, welches zu einem Ausbildungstopp von 2010-2012 führte, nachdem eine 25-jährige Offiziersanwärterin nach einem Sturz aus der Takelage bei dieser Übung tödlich verunglückte. Ein Teil der Besatzung weigerte sich daraufhin einen Mast zu besteigen, ein anderer wollte gänzlich von Bord gehen. Der damalige Kapitän wurde vorläufig von seinen Pflichten entbunden. Im Nachhinein sprachen einige Zeitungen von einer „Meuterei".

„Unfälle können passieren. Auch während meiner Zeit als Sanitäter musste ich verletzte oder erkrankte Soldaten pflegen," erinnert sich Kühl. „Abgesehen von einigen kleineren Verletzungen gab es leider auch eine lebensgefährliche Situation, als während eines Manövers eine hölzerne Umlenk-Rolle platzte und dadurch einem Matrosen der Unterkiefer zertrümmert wurde. Wir sind mit Höchstgeschwindigkeit in den nächsten Hafen eingelaufen, in welchem der Rettungshubschrauber schon auf uns gewartet hat. Zwar ist am Ende alles gut gegangen, aber diese Anspannung und den Kampf um sein Leben werde ich nie vergessen."

Gefragt, ob er diese Reise heute noch einmal wiederholen würde, antwortet der ehemalige Rekrut: "Vielleicht nicht für acht Monate, aber für vier könnten wir noch heute ablegen."

 
1 Kommentar(e)
  1. Julia Kokenge
    3. Dezember 2022

    Ganz toller Text, bringt viel Spaß zu lesen!

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