Die Tasse Tee

Lea Kutterolf, RBZ am Königsweg,bg22a 18. November 2022 2 Kommentar(e)
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Es ist mitten in der dunklen Nacht. Nur die Sterne und der Mond erhellen sie. Alles ist still, alles schläft.
Aber sie kann nicht.
Wütend, ja schon beinah verzweifelt reißt sie ihre Augen auf. Sie fühlen sich schwer an.
Trotzdem denkt ihr Herz anscheinend, es liefe einen Marathon. Sie seufzt.
Warum jetzt? Warum heute? Es ist mitten in der Woche, sie ist gerade in einer wichtigen Phase in ihrer Schulzeit.
Trotzdem kann sie nicht schlafen. Sie kann nicht mehr. Es ist zu ruhig und die Wut auf ihre Schlaflosigkeit wühlt sie nur weiter auf. Sie muss sich bewegen, sich ablenken.
Nein, was sie jetzt braucht, ist eine Umarmung.
Scheiße.
Wieder einmal kehrt diese Leere in ihr Herz ein. Ihr Bauch zieht sich zusammen und sie wünscht plötzlich nichts mehr als jemanden neben sich, oder einfach etwas Bekanntes, etwas, was ihr Sicherheit vermittelt.
Hektisch reißt sie die Decke weg. Es bringt doch eh nichts. Sie muss sich bewegen.
Leise versucht sie sich aus dem Zimmer zu schleichen, sie stockt. Wenn sie aus Versehen jemanden weckt, ist sie nicht mehr alleine wach, nicht mehr einsam. Sie lässt die Türe etwas lauter als gedacht ins Schloss fallen.
Nichts rührt sich. Abermals verlässt ein Seufzen ihre Lippen und sie, macht sich auf den Weg zur Küche, welche verbunden ist mit dem Esszimmer und dem Wohnzimmer. Ein kurzer Blick in den Wasserkocher, sagt ihr, dass da noch genug Wasser drin ist.
Tee, hilft vielleicht.
Sie schaltet den Wasserkocher an und sucht sich ein beruhigenden Tee aus.
Während das Wasser im Wasserkocher sich erhitzt und zu brodeln beginnt, setzt sie sich in das Wohnzimmer auf die Couch, sie zieht eine Decke über sich, welche neben ihr liegt.
Wieder einmal drehen sich die Gedanken, inmitten dieser stockdunklen Nacht um nur ein Thema.
Herkunft, Heimat, oder einfach einen Platz für sich finden. Ist doch eh egal, wie man es nennt.
Sie nimmt sich ein Kissen und umarmt es, dabei drückt sie es an ihren Bauch.
Leise flüstert sie: „Wo komme ich bloß her? Wo bin ich Zuhause? Wo verdammte Scheiße ist mein Platz auf dieser Welt?"

Wo ist mein Platz auf dieser Welt?

Egal wie verschieden wir voneinander sind: Diese Frage hat sich schon jeder einmal gestellt. Jeder Mensch ist auf der Suche nach seinen Platz auf dieser Welt. Ein Platz, an dem man wirklich respektiert und akzeptiert wird. Wo wir uns wohl fühlen und einfach wir selbst seien können.
Aber warum beschäftigt die Frage den Menschen schon seit jeher? Vielleicht, weil sie so tief in uns verankert ist.
Die Frage nach der Herkunft, der Heimat, des eigenen Platzes geht so viel tiefer.
Sie beginnt schon im Kindesalter und wird uns so lange verfolgen, bis wir unseren Seelenfrieden gefunden haben.
Eine der am meisten gestellten Fragen ist: „Wo komme ich her?"

Ob es die Frage eines kleinen Kindes ist, welches der Mutter nicht mehr glaubt, dass der Storch es brachte.
Oder aber die Frage, die man sich selber anfängt zu fragen, wenn man generell alles in Frage stellt.
Egal wann man die Frage stell, sie ist anscheinend wichtig für die Menschen. Wenn man beispielweise jemanden mit einer anderen Hautfarbe sieht, ist die Frage nach der Herkunft für manche Menschen schließlich die erste Frage.
Jedoch auch aus nicht-rassistischem Blickwinkel ist die Herkunft für Menschen wirklich wichtig.

Ein klickendes Geräusch holt das Mädchen aus ihren Gedanken, der Schalter vom Wasserkocher ist umgesprungen und das Wasser beginnt weniger zu brodeln. Sie steht auf und geht zurück in die Küche. Die Tasse steht schon draußen, daneben der eingepackte Teebeutel, sie reißt die Papierhülle von diesem.

Diese Frage stellen sich die Menschen seit Anbeginn der Zeit. Wer hat die Menschen erschaffen? War es ein Gott? Oder doch nur Glück? Für die Umwelt wohl dann doch ehr ein unverhoffter Zufall.
Egal wie wir nun entstanden sind, die Frage ist allgegenwärtig. Schon damals hat man darauf eine Antwort gesucht und Götter erschaffen, oder haben die jetzt uns erschaffen?

Das Mädchen schüttelt den Kopf und gießt sich den Tee auf und setzt sich wieder auf die Couch. Woher soll sie das den wissen? Sie weiß nicht einmal, wo sie sich zugehörig fühlen soll.

Die Frage, woher man stammt, gibt es jedoch auch in kleineren Formen überall. Ist er wirklich der Vater des Kindes? Oder wo kommt das Kind her? Ob es in einer normalen bürgerlichen Familie aufwächst oder doch in einer Adelsfamilie, die Frage der Abstammung war schon immer wichtig.
Betrug ist keine Erfindung des 20. oder 21. Jahrhunderts, der Vaterschaftstest dafür schon.

Die Frage nach der Abstammung kann heutzutage einfach von einem DNA-Test beantwortet werden. Dafür muss man noch nicht einmal zu einem Arzt gehen. Nein, einfach den Test zu sich nach Hause bestellen und dann mit ein Wattestäbchen in deiner Spucke herumstochern. Und man muss ja auch sagen, seinen Reiz hat es.
Schließlich kannst du damit nicht nur herausfinden, ob der Mann, welcher mit deiner Mutter verheiratet ist, wirklich dein Vater ist.
Nein, du kannst ebenfalls herausfinden, woher deine Großeltern kommen oder ob noch ein Verwandter, welchen du nicht kennst, ebenfalls ein Test gemacht hat.

Was aber, wenn du gar nicht wissen willst, mit wem du verwandt bist? In der Vergangenheit gibt es weitaus genug schlechte Menschen, mit welchen man nichts am Hut haben möchte.
Wer würde schon gerne mit einem Massenmörder oder gar mit Hitler verwandt sein oder überhaupt mit diesem in Verbindung verbracht werden?

Der Blick des Mädchen gleitet zu der Uhr an der Mikrowelle, 15 Minuten verstrichen. Abermals steht sie auf und geht wieder zur Küche. Sie zittert leicht. Ob es an der Kälte der Wohnung oder doch an dem Schlafmangel liegt, kann sie nicht einschätzen. Vorsichtig balanciert sie die Tasse Tee ins Wohnzimmer und setzt sich auf die Couch. Froh, dass der kalte Boden nicht mehr an ihren Füßen klebt. Sie nippt an dem Tee, zischt aber sofort auf. Zu heiß.

Es ist faszinierend, wie besessen die Menschen von der Herkunft sind und was für eine große Rolle sie spielt. Im Grunde genommen ist es ein Thema, was jeder einmal in sein Leben beschäftigt, dabei sind die Gründe komplett unterschiedlich. Aber eins steht fest. Die Herkunft ist wichtig zu wissen, um seinen Platz zu finden.
Eine junges Mädchen ist in Deutschland aufgewachsen. In Deutschland selbst war sie nie richtig zuhause. Hier wurde sie ihr ganzes Leben diskriminiert. Sie sieht anders aus. Sie hat sich gefreut in den Sommerferien, in das Land ihrer Abstammung zurückzukehren. Sie hat gehofft, dort ein Zuhause zu finden, einen Platz. Doch stattdessen musste sie die selbst Diskriminierung von ihren eigenen Leuten erfahren. Sie wurde von beiden Welten verstoßen. In welcher Welt wird sie nun ihren Platz finden?
Ein junges Mädchen ist in Norddeutschland aufgewachsen. Ihre komplette Familie wurde jedoch in Süddeutschland geboren und ist teilweise dort auch aufwachsen. Sie ist die einzige, welche im Norden geboren wurde. Doch auch sie wird von beiden Welten verstoßen. Sie passt in beide einfach nicht so hinein wie ihre Geschwister. Von beiden Welten verstoßen. In welcher Welt wird sie nun ihren Platz finden?
Von solchen Geschichten gibt es noch unendlich viele und sie alle suchen ihren Platz in einer Welt.

Vorsichtig pustet das Mädchen, bevor sie ein Schluck von ihrem Tee trinkt. Sofort wird sie wieder von der Wärme und dem Wohlbefinden durchströmt.

Der Mensch sehnt sich nach Zugehörigkeit. Wir wollen ein Teil von etwas sein. Etwas, das uns bei Problemen hilft, es ist also nicht verwunderlich, dass der Mensch nach seiner Herkunft sucht, nach unserer Familie, schließlich wird die Familie uns doch nie im Stich lassen. Blut ist dicker als Wasser.
Aber Familien müssen nicht unbedingt unsere Blutsverwanden sein, nein, auch Freunde können für uns zur Familie werden.
Und Familie kann unsere Heimat werden. Unser Platz.

Also können auch Menschen uns dieses Gefühl eines Platzes geben, wenn man die richtigen findet.
Unseren Platz in dieser Welt können wir in allem finden.

Das Mädchen steht wieder auf und stellt die leere Teetasse auf die Spüle. Gähnend macht sie sich schlaftrunken auf dem Weg ins Bett. Dort angekommen schläft sie auch schon ein, sobald sie die weiche Oberfläche berührt.

 
2 Kommentar(e)
  1. Laura Benk
    21. November 2022

    Hi Lea, ein sehr bewegender Text! Sowas fragt man sich ja wirklich oft. Sehr schön geschrieben! Viele Grüße Laura
  2. Elke
    29. November 2022

    Wirklich ein sehr bewegender Text!

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