Lasst die Kirche im Dorf!

Ben Ole Arlt (Ernst-Barlach-Gymnasium Kiel, 8d) 19. November 2022 1 Kommentar(e)
Die Lukaskirche der Emmaus-Gemeinde in Kiel. Seit eineinhalb Jahren temporär geschlossen. © Marion Brahms Pastorin der Osterkirche Isa Gattermann © Marion Brahms

KIEL. Es ist kalt und stürmisch an diesem Novembernachmittag. Vor den Fenstern des Gemeindehauses der Osterkirche am Westring fegt der Wind die Blätter von den Bäumen. In der Kirche sind unruhige Zeiten, denn in den letzten 15 Jahren wurden in Deutschland rund 600 katholische und evangelische Kirchen entwidmet, profaniert, abgerissen oder umgenutzt. „Für Kirchengemeinden ist das ein sehr schwerer Schritt, wenn sie ihre Kirche aufgeben müssen. Manchmal ist es aber die einzige Möglichkeit, um noch handlungsfähig zu bleiben, und das ist für die Menschen vor Ort ein sehr großer Einschnitt, der auch mit sehr viel Trauer verbunden ist", meint die Pastorin der Osterkirche Isa Gattermann.

Was sind überhaupt die Gründe für Kirchenschließungen? Die Pastorin beantwortet dies damit, dass die Kirchengemeinden ihre Kirche nicht mehr unterhalten oder finanzieren können. Dies hat zur Folge, dass viele Gemeinden, vornehmlich in den neuen Bundesländern oder im Ruhrgebiet, ihr Gemeindeleben und ihre Kirche aufgeben müssen. Die Gebäude werden nach der Entwidmung oder Profanierung häufig in Theater-, Konzertsäle oder Begegnungszentren umgebaut. In Hamburg ist eine Kirche auch schon einmal in eine Moschee umgewidmet worden. Manchmal werden auch Gebäude einer anderen Glaubensgemeinschaft übergeben, wie zum Beispiel einer orthodoxen oder afrikanisch-christlichen Kirche.

Die Emmaus-Gemeinde ist jetzt gerade auch, wie viele Kirchengemeinden in der Nordkirche, von einer nur temporären Schließung betroffen, weil das Gemeindehaus der St. Lukaskirche in eine Kita umgebaut wird und die Kirche dadurch momentan nicht betretbar ist. „Wir werden sehr häufig von unserer Gemeinde gefragt, wann denn die Lukaskirche endlich wieder aufmacht, da es dort viele Menschen gibt, die einen persönlichen Bezug zu dieser Kirche haben und sie auch im Stadtteil Wik ein zentraler Treff- und Anlaufpunkt war, der ihnen genommen wurde", so die Pastorin. Trotzdem stehen für das weitere Gemeindeleben noch St. Martin und die Osterkirche zur Verfügung.

Viele Kirchen müssen energetisch saniert werden, wofür sich die Nordkirche auch einsetzt, da sie bis 2050 mit allen Gebäuden ihres Besitzes klimaneutral sein will. Pastorin Gattermann hält kurz inne und blickt aus dem Fenster auf den Turm der Kirche und fährt langsam fort: „Das ist ein sehr langer Prozess, wenn eine Kirche geschlossen wird. Das passiert nicht von heute auf morgen und das wird auch in den jeweiligen Gemeinden sehr lange diskutiert und überlegt. Es gibt wahrscheinlich kaum eine Gemeinde, die ihre Kirche gerne verlässt."

„Diese Kirchenräume haben eine sehr lange und bewegte Geschichte. Man gibt damit auch ein Stück eigene Geschichte und Heimat auf."

Kirchenschließungen sind aber im Bereich der Nordkirche noch nicht so häufig. Umbauten oder Abrisse sind hier eher die Ausnahme. Anders als in Mitteldeutschland, wo die Reformation im 16. Jahrhundert in Sachsen und Thüringen startete und danach sehr viele große protestantische Kirchen besonders in den Lutherstädten wie Wittenberg, Eisenach, Halle oder auch Erfurt gebaut wurden. „Die haben jetzt zu viele Kirchen für zu wenig Gläubige, die seit der Gründung der DDR in den neuen Bundesländern immer weniger werden", sagt sie mit etwas betroffenem Blick.

Gerade diese kleine, für die Region typische, Kirche, die dort in jedem Dorf steht, wird für die Gemeinden immer schwieriger finanzierbar. Manchmal finden sich auch Fördervereine, die die Gemeinden dann unterstützen und auch durch Theater oder Konzerte, also explizit nicht kirchliche Veranstaltungen, versuchen, Einnahmen zu generieren. Und auch die Kreativität der Gemeinden bleibt unter solchen Umständen ungebrochen und sie fangen an, Gottesdienste nicht nur im Gemeindehaus, sondern auch in Sporthallen oder Kneipen zu feiern oder im Sommer mal Open-Air-Gottesdienste zu organisieren. „Also auch da wird geschaut, dass wenn man eine Kirche nicht oder nicht mehr nutzen kann und nicht das Glück hat, wie wir gleich noch zwei weitere Kirchen zu haben, die wir uns auch noch leisten können, ob man nicht kreativ wird und auch mal an anderen Orten feiert". Als Beispiel ist die Coronazeit zu nennen, wo man in der Kirche keine normalen Gottesdienste feiern konnte und dann auch mal hinausging, um überhaupt Gottesdienste stattfinden zu lassen, und zusammen feierte oder sang. Auch jetzt während der Energiekrise ist es so, dass viele Gemeinden Gottesdienste in ihr Gemeindehaus oder Ähnliches verlegen, um die Heizkosten für die großen Kirchengebäude zu sparen.

Diese Entwicklung kann die Kirche zum Anlass nehmen, neue, junge Mitglieder für sich zu gewinnen. Einige Gemeinden, die ihren Gottesdienst umgestellt und attraktiv gemacht haben, haben nicht das Problem von leeren Kirchen und rückgängigen Gemeindemitgliedern. Die Freiburger Studie „Kirche im Umbruch-Projektion 2060" prognostiziert, dass, wenn nichts unternommen wird, sich die Zahl der evangelischen Christen in Deutschland bis zum Jahr 2060 von 20 Millionen auf etwa zehn Millionen halbieren wird. Dennoch hat die Kirche die Chance, auf die Entwicklung Einfluss zu nehmen, indem sie sich von alten Strukturen löst und neue Impulse setzt, um diesem Trend entgegenzuwirken.

 
1 Kommentar(e)
  1. Laura Benk
    21. November 2022

    Hallo Ben, ein sehr spannendes Thema! Gerade für ältere Menschen, die kein Auto mehr fahren und auch nicht anders gut wohin kommen können, ist es sehr schade, wenn die Kirche in ihrem Ort geschlossen wird und sie dann zum Beispiel nach Kiel fahren müssen. Unsere katholische Kirche in Heikendorf wurde leider auch geschlossen. Wie bist du auf das Thema gekommen? Ich mag deinen Text. Wirklich gut geschrieben und auch der Titel ist sehr gut gewählt. Viele Grüße Laura

Kommentar schreiben

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert