Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage

Lea Kutterolf, RBZ am Königsweg,bg22a 15. November 2022
Die Suche nach mir selbst © https://unsplash.com/photos/aebPbwAWjDs

Kurzer Disclaimer: Das hier wird keine Anleitung zur Selbstfindung.

 

Die Bilder fliegen an den Augen des Mädchen im Sekundentakt vorbei, wie die Autos auf einer gut befahrenen Schnellstraße ohne Blitzer. Die Daumen laufen auf Hochtouren, während sie unentwegt über den kleinen Bildschirm in ihren Händen scrollen und swipen. Im Moment arbeitet sie sich durch Instagram. Immer weiter und weiter scrollt sie sich durch ihren Feed, welcher ihr eigentlich schon lange keine interessanten Beiträge mehr anzeigt. Sie überlegt kurz, ob sie auf Tiktok oder eine andere App wechseln soll, doch da wischt der Daumen auch schon weiter. Der Gedanke verworfen. Aber warum macht sie das? Ständig muss sie scrollen und swipen, es ist wie eine Sucht, als würde sie etwas verpassen, wenn sie aufhört, als würde sie sich selbst verpassen. Lauter verschiedene Menschen erscheinen auf ihren Bildschirm, alle sind sie anders. Einzigartig…

Alle sehen sie aus, als wären sie von Gott selbst gemacht, aus seinen eigenen Händen gefertigt. Alle sehen sie aus, als wären sie mit sich selbst im Reinen. Essen bestimmt healthy food und trainieren, um sich fit zu halten. Bestimmt…

Und selbst die, welche das nicht tun, sehen trotzdem unheimlich gut aus, sind trotzdem selbstbewusst. Wertschätzen sich selbst… Sich selbst…

Und sie, ja, sie vegetiert hier auf der Couch herum und kann nicht anders als scrollen. Langsam drückt sie das schlechte Gewissen wieder herunter. Es drückt auf ihren Brustkorb, erdrückt sie fast.

Sie bekommt keine Luft.

Ihr geht es nicht gut.

Wieder erscheint eine Person auf ihren Bildschirm. Ein Mädchen in ihrem Alter ist zu sehen. Sie ist all das, was doch eigentlich das Mädchen vor dem Handy verkörpern möchte.

Sie atmet tief durch.

Dann nimmt sie alle Kraft zusammen und überwindet sich schnell, sie drückt auf die Home-Taste.

Sie atmet aus.

Es erscheint ein Bild von ihrem Haustier und ihr selbst, welches sie als Hintergrundbild eingestellt hat. Sie verweilt kurz hier und überlegt, welche App sie nun öffnen könnte. Wahllos öffnet sie einige, schließt sie jedoch gleich wieder.

Gelangweilt und leicht depressiv gestimmt, wirft sie ihr Handy achtlos neben sich auf die weiche Oberfläche, ihr Blick gleitet hinaus und sie seufzt, als sie in der dunklen Fensterscheibe ihr verschwommenes Spiegelbild betrachtet.

Wer ist sie? Ist sie normal? Warum kann sie nicht anders sein? Warum kann nicht alles perfekt sein… sie perfekt sein?

 

Wer bist du heutzutage, in einer Welt, in der man alles sein kann?

 

Wir haben alle Perspektiven dieser Welt, wir haben das Wissen aller Menschen aller Zeiten dieser Welt zur Verfügung in unserer Hosentasche. Wir haben Zugriff auf jede erdenkliche Information, Kontakte über den gesamten Globus verteilt und wir haben die Möglichkeit, jede Form von Dasein im Internet zu verfolgen und ihr zu folgen.

 

Es gibt in der jetzigen Zeit so viele Wege, uns selbst zu finden. Du kannst zwischen 25 Sexualitäten wählen, welche deine ist, du kannst jedes Geschlecht sein, welches du willst, oder auch überhaupt keins.

Du darfst als Mann Kleider und Röcke tragen, genauso wie sich die Frauen auch das Recht erkämpft haben, Hosen und Anzüge zu tragen.

Frauen dürfen arbeiten, ob im Handwerk oder in der Kinderbetreuung ist dabei egal. Auch Männer dürfen arbeiten, ob im Handwerk oder in der Kinderbetreuung ist dabei egal.

Heutzutage darfst du anders sein, aber es ist auch okay, wenn du normal bist.

Im Interniet kannst du jeden erdenklichen Kleidungsstil finden und dich inspirieren lassen, ob Punk, Vintage, Klassik, Basic oder was auch immer dein Fashionherz begehrt. Es gibt jetzt schon über 100 Stilrichtungen und von Jahr zu Jahr werden es mehr.

 

Heutzutage kannst du dich komplett ausleben! Das Motto dieses Jahrhunderts ist: „Be different!“

Das ist auch das Motto von vielen Menschen geworden. Doch es gibt eine unvorhergesehene, ja schon beinah unverhoffte Nebenwirkung, plötzlich möchte jeder anders sein, unter keinen Umständen wie die breite Masse. Aber wie soll man sich dabei selbst finden? Von jedem bekommt man den Druck, sei anders, sei besonders, sei einzigartig.

Es ist traurig – nein eigentlich schon eine Schande, wenn man bedenkt, dass das Motto doch eine komplette andere Bedeutung hat.

Dieses Motto möchte keineswegs dazu auffordern, anders zu sein. Nein, vielmehr soll es den Leuten den Druck nehmen, die anders sind. Ironisch, wenn man überlegt, dass dieses Motto nun so manchen Teenagern Druck bereitet.

 

Wie also will man nun sich selbst finden? Leider hat selbst google darauf keine Antwort, außer du vertraust auf die „10 Tipps, um sich selber zu finden!“ von Tante Gerta, welche seit ihrem Yoga-Probe-Training nun als Selbstfindungs-Coach einen Blog führt.

 

Und wenn ich mir die Frage nun so durch den Kopf gehen lassen, stellt sich mir jedoch noch eine ganz andere Frage.

Wer sind wir, wenn wir nicht wir selbst sind? Wir sind doch jemand. Wir müssen doch jemand sein. Wenn wir niemand sind, dann würden wir nicht leben, nicht existieren.

Also müssen wir doch bei unserer Geburt jemand gewesen sein?

Und wenn wir irgendjemand einmal gewesen sind, dann ist es ja auch schlüssig, dass wir uns nicht erst finden müssen. Wir müssen ja nichts neu finden, was wir einmal gewesen sind. Nein, vielmehr müssen wir uns wieder finden.

Und wenn wir das jetzt also so betrachten, dann könnte man also vielmehr sagen: Wir haben uns verloren.

 

Wir suchen dementsprechend nicht uns selbst, unser Ich, wir suchen das Ich, welches wir verloren haben. Unser inneres Kind. Das Kind, welche ein so strahlendes Lächeln hatte, dass es mit der Sonne konkurrierte und niemals zu sterben schien. Das Kind, welches glücklich war. Das Kind, welches sorglos war. Dessen größtes Problem darin bestand, mit so vielen Freunden wie nur möglich an einen Nachmittag zu spielen, oder alle Kuscheltiere ins Bett zu bekommen.

 

Wann also wurde unser unsterbliches Lächeln von damals ausgelöscht?

Und müssen wir erst unser jüngeres Ich wiederfinden, um wieder zu uns zu finden?

 

Selbstfindung ist ein sehr individuelles Thema, worauf es wahrscheinlich nie eine generelle Antwort geben wird.

Deswegen ist das hier auch keineswegs eine Anleitung zur Selbstfindung, das hier ist lediglich die Gedanken einer ganz normalen Schülerin, welche genauso versucht sich selbst zu finden, wie jeder andere.

Jedoch, wird der Mensch auch nie aufhören danach zu fragen, sich selbst zu suchen.

Jedoch für mich selbst habe ich entschieden, dass für mich die Antwort bei mir selbst, jedenfalls das von damals, liegt. Das Ich von damals, welches wir vermissen und weshalb wir so verbissen nach uns selbst suchen, welches wir damals vergraben haben, als wir beschlossen haben, erwachsen zu sein.

 
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