Die Suche nach dem Paradies

Ayleen Dombrowsky, 9c, Gymnasium Altenholz 14. November 2022 3 Kommentar(e)
Dieter Markworth mit Sextant mit Mitte 30 © Dieter Markworth Die "Siga" mit Passatsegeln © Dieter Markworth Segeln vor Bora Bora © Dieter Markworth

Weltumseglung an einem Nachmittag

Es ist ein grauer Samstagnachmittag im September 22: Dunkle Regenwolken über dem Himmel verdichten sich und der Wind bläst mit gut 15 Knoten aus Nordost durch den Hafen von Schilksee. Das typische Klappern der Falle an den Alumasten bildet eine passende Geräuschkulisse: Ich bin verabredet mit Dieter Markworth, dem ehemaligen Klassenlehrer meines Vaters. Vor 50 Jahren segelte er genau 6 Jahre und einen Tag gemeinsam mit seiner Frau Sigrid und später dann zu dritt mit Tochter Moana auf einem selbstgebauten 9-Meter-Schiff ohne moderne Technik oder finanzielle Rücklagen um die Welt. Die spannendsten Momente dieser Reise hat er in seinem Buch ‚6 Jahre auf 7 Meeren' festgehalten, welches inzwischen zu meinen absoluten Lieblingsbüchern zählt.

Sportlich wie ein Teenager läuft der 82-jährige Weltumsegler die Treppen zum Steg 4 des Südbeckens herunter, wo ich bereits aufgeregt an seinem Schiff, der ‚Siga' warte. Diese konnte ich relativ leicht an der riesigen Windfahne der Selbststeueranlage aus den 70ern erkennen. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf, wie bloß nichts falsch machen oder hoffentlich bin ich nicht unhöflich, welche jedoch völlig unnötig sind. Nach einer herzlichen Begrüßung klettern wir über den großen Buganker an Bord der ‚Siga'.

Mir fällt gleich auf, wie durchdacht und sorgfältig das Schiff gebaut ist. Jeder Quadratzentimeter wird sinnvoll genutzt und doch wirkt es sehr gemütlich und geschützt in der Kajüte des mehr als 50 Jahre alten Schiffes. Die Luft ist angenehm, nicht muffig, und das leichte Schaukeln wirkt sehr beruhigend auf mich. Dieter erzählt mir, dass er das Schiff „innerhalb von 3 Jahren, fast ohne Geld und mit Hilfe von guten Freunden" gebaut hat. Lächelnd ergänzt er: „Zum Dank durften sie dann später auf verschiedenen Etappen, etwa in der Karibik, mit segeln."

Wir machen eine kleine Führung durch das Schiff. Hierbei wird mir Dieters starke emotionale Bindung zu dem Schiff bewusst, welches er selbst gebaut hat und das über Jahre das Zuhause seiner Familie gewesen ist. Zu einigen Details erzählt er mir dann auch sehr persönliche Geschichten: Die alte Petroleumlampe etwa, bei der das Petroleum trotz der kardanischen Aufhängung überlief, da das Schiff sich auf See deutlich über 35° und damit mehr als vom Hersteller der Lampe vorgesehen krängte. In Neuseeland hat er einen neuen Kompass eingebaut. Der kreisrunde Ausschnitt fiel ihm dabei leider ins Innere der Kajütenwand und sorgte später bei Flaute in den ‚doldrums' durch langsames Hin- und Herrollen für ein Geräusch, das sie nicht zuordnen konnten und die Familie über Wochen plagte und beinahe in den Wahnsinn trieb. Insgesamt hatte Dieter das Schiff sehr sicher gebaut. Der Rumpf hatte deutlich mehr GFK-Schichten als üblich, wodurch es sogar winter- und fast eisfest ist. „Wir wollten ja schließlich keine Regatta segeln, sondern sicher unterwegs sein", erklärt er mir.

Dieter erzählt nun ausführlich von den spannendsten Erlebnissen auf der Weltumseglung. Draußen kreischt eine Möwe und ein leichter Schwall läßt die ‚Siga' kaum spürbar ein wenig dümpeln. Neben Begegnungen mit Walen, Delfinen und Meeresschildkröten fasziniert mich vor allem das von ihm beschriebene Meeresleuchten, welches in den Nächten zum Teil so hell wie ein zweiter Sternenhimmel funkelte. Auch die tiefblaue Farbe des Wassers auf hoher See weckt in mir Sehnsucht nach dem sogenannten Blauwassersegeln.

Ein Regenschauer prasselt an Deck. Nur wenige Tropfen gelangen über den Niedergang in die Kajüte. „Wie konntet ihr euch nach einer so tollen Zeit an den schönsten Orten der Welt nur wieder an das Leben an Land gewöhnen?" frage ich ihn, ehrlich erstaunt, wie man ein so tolles Abenteuer überhaupt beenden kann.
„Das war sehr unterschiedlich", sagt Dieter mit einem Lächeln. „Für Sigi hat die Umstellung auf das traditionelle Leben an Land relativ schnell geklappt. Für sie war unsere Reise ein Lebensabschnitt und nicht der komplette weitere Lebensplan. Bei mir war es etwas schwieriger und eigentlich habe ich — wenn ich ehrlich bin — zuweilen immer noch leichte Probleme!"
Mir wird in diesem Moment klar, dass ein solches Abenteuer auch einen Preis hat: Es verändert dich und wird dich nie wieder ganz loslassen. Ein schöner Gedanke, finde ich. Dieter ergänzt: „Ich weiß, dass einige Langstreckensegler ähnliche Probleme wie ich hatten, sich wieder ans Landleben zu gewöhnen. Manche sind immer wieder losgesegelt, in Tahiti trafen wir z.B. einen 72-jährigen kernigen Mann, der bereits seine dritte Weltumseglung machte! Aber die meisten sind doch wieder ‚landlubbers' geworden."

Schließlich komme ich auf die Frage, die mich am allermeisten interessiert: Das Buch ‚6 Jahre auf 7 Meeren' trägt den Untertitel ‚Die Suche nach dem Paradies'. Natürlich möchte ich unbedingt für meine eigene Reiseplanung wissen, an welchem Ort die beiden denn schließlich das Paradies gefunden haben. Dieter denkt einen Moment über die Frage nach und antwortet schmunzelnd: „Es gab mehrere: Galapagos, das Atoll Maupihaa oder die vielen winzigen Motus, das sind kleine Inselchen auf den Außenriffen, die nicht einmal einen eigenen Namen haben. Gemeinsam ist ihnen, dass es dort nur sehr wenige Menschen oder gar keine gibt und stattdessen großartige, beeindruckende Natur und Tierwelt. Interpretiert man aber ‚Paradies' als den Ort, an dem man sich so wohl fühlt, dass man dort für immer bleiben möchte, dann gibt es nach einiger Zeit fast immer etwas, das einem fehlt, das man vermisst. Und für mich ist schließlich das Paradies diese ‚Suche nach dem Paradies' gewesen, dieser Lebensstil mit beweglichem und steuerbarem Zuhause und größtmöglicher Freiheit."

875 Wörter

 

 
3 Kommentar(e)
  1. Maja
    22. November 2022

    Toller Beitrag und interessantes Thema! :-)
  2. Regina
    24. November 2022

    Ein toller Bericht! Man hat das Gefühl mitten auf dem Wasser in der Geschichte zu sein:) Der Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit wurde mir in diesem Bericht richtig bewusst.....
  3. Melina
    27. November 2022

    Super Beitrag:) interessantes Thema ,man kann sehr gut mitfühlen.

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