Die Aufräumarbeiten nach dem 2. Weltkrieg sind noch lange nicht erledigt

Klasse 9a (Gymnasium Altenholz) 19. November 2018
© Hannes Schäfer

Es ist der 25. Oktober 2018, ein Donnerstag wie jeder andere. Doch als ich um 14 Uhr von der Schule nach Hause komme, ist etwas anders. Ich öffne die Haustür und der Geruch von Essen kommt mir entgegen. Da fällt es mir wieder ein, heute ist nicht nur der Geburtstag meines Opas, sondern es wird auch eine Bombe am Bremerskamp, in der Nähe der Uni entschärft. Das erklärt auch, warum meine Mutter, die an der Uni arbeitet, schon zu Hause ist.

Während des Essens reden wir über die Entschärfung. Wie viel Vorarbeiten geleistet werden müssen, bis die Entschärfung der Bombe durchgeführt werden kann. Sogar die Lubinusklinik musste komplett evakuiert werden. Mich beeindruckt aber am meisten, was für eine Verantwortung die Entschärfer haben und welch großer Gefahr sie sich aussetzen. Einige meiner Fragen bleiben offen, als wir zu meinen Großeltern aufbrechen.. Wir müssen uns beeilen, da wir aufgrund der angekündigten Straßensperrungen in einem Radius von 650 Meter um den Bombenfundort herum, einen Umweg zu meinen Großeltern fahren müssten.

Am Abend sind wir alle froh, dass die Entschärfung geglückt ist. Die Fragen, die mir immer noch im Kopf herumschwirren, kann auch der Zeitungsartikel am nächsten Tag nicht wirklich beantworten. Ich recherchiere im Internet und finde so einige interessante Fakten. Über 28500 Tonnen Bomben wurden während des 2.Weltkrieges auf Kiel abgeworfen. Das sind mehr als in jeder anderen Stadt in Schleswig Holstein. Kiel traf es aufgrund der vielen Werften und des wichtigen Marinestützpunktes besonders hart. Einige Bomben erfüllten ihren Zweck nicht, falsches Aufkommen oder technische Defekte führten dazu, dass sie nur teilweise oder auch gar nicht explodierten. Auch jetzt, 73 Jahre nach Kriegsende, werden noch mehrere 100 Blindgänger unter Kieler Boden vermutet. So passiert es nicht selten, dass bei Bauarbeiten Bomben aus dem 2. Weltkrieg gefunden werden.
Ob die Bomben auch auf andere Art und Weise gefunden werden können? Mein Interesse ist nun noch mehr geweckt. Ich finde im Internet die Telefonnummer des Kampfmittelräumdienstes und lerne Herrn Kinast kennen. Er ist dort der technische Einsatzleiter. Wir verabreden uns zu einem Interview.

Am 15. November ist es dann soweit. Mitten im Wald von Felde stehe ich vor den zwei großen Metalltoren des Standorts des Kampfmittelräumdienstes (KMRD) von Schleswig Holstein und erzähle der netten Stimme, die mich nach meinem Anliegen fragt, von meinem Interviewtermin mit Herrn Kinast.
Die Metalltür öffnet sich langsam und der Einsatzleiter nimmt mich in Empfang. Ich befinde mich nun auf einem Hochsicherheitsgelände, dass rund um die Uhr bewacht wird. Hier sind nicht nur die Büros des KMRD, sondern hier lagern auch Munitionsfunde und entschärfte Bomben. Ich erfahre, dass zehn der insgesamt 40 Mitarbeiter, die hier arbeiten, ausgebildete Entschärfer sind. Von ihnen haben drei die Qualifikation, große Bomben zu entschärfen. Herr Kinast führt mich durch Flure, an deren Wänden Bilder von technischen Zeichnungen unterschiedlicher Bombentypen und Zündern hängen. Auch in seinem Büro sehe ich Relikte des 2. Weltkrieges. In einer Vitrine liegen originale, aufgearbeitete Bombenzünder. An der Wand hängt ein Dolch und ein Stahlhelm.

Als erstes möchte ich wissen, wie man Bombenentschärfer wird und was einen dazu veranlasst. Für Herrn Kinast ist es das Bedürfnis, die Bevölkerung zu schützen. Grundvoraussetzung für diesen Beruf ist eine technische Ausbildung. Grundkenntnisse in Physik und Chemie, sowie die Fähigkeit technische Zeichnungen lesen zu können. Mit einer fünfjährigen Schulung wird man auf den Einsatz vorbereitet. Wirklich trainiert werden kann eine Entschärfung allerdings nicht. Die angehenden Entschärfer lernen bei den Entschärfungen von den Erfahrungen der älteren. Herr Kinast erzählt mir, dass eine Entschärfung selbst bei gleichen Zündertypen unterschiedlich verlaufen kann. Die Vorgehensweise hängt stark vom Zustand der Bombe ab. So ist jede Entschärfung eine neue Herausforderung. Die Entschärfer tragen bei ihrem Einsatz keine Schutzanzüge, da diese sie nur in ihrer Bewegungsfreiheit behindern würden. Herr Kinast erzählt mir, dass bei der Entschärfung zuerst der Zünder von dem dahinter sitzenden Detonator getrennt werden muss. Anschließend wird der sehr empfindliche Detonator von der Boosterladung abgeschraubt. Ist die Boosterladung dann von der Sprengladung getrennt, ist die Bombe entschärft. Dieser Vorgang erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl. Der Detonator wird aufgrund seiner hohen Empfindlichkeit häufig schon vor Ort gesprengt. Die entschärfte Bombe wird in der Zentrale des KMRD zwischengelagert.
Zur Vernichtung des giftigen Sprengstoffs wird die transportfähige Munition nach Munster gefahren. Dort wird sie dann in einem Bunker mit computergesteuerten Sägen in Scheiben geschnitten und anschließend in Verbrennungsöfen kontrolliert abgebrannt. Die giftigen Dämpfe müssen über große Filteranlagen gereinigt werden. Ich bin erstaunt, wie aufwändig die Beseitigung
einer einzigen Bombe ist.

Die Anzahl der jährlichen Bombenfunde variiert stark und ist abhängig von den stattfindenden Bautätigkeiten. Der KMRD sucht auch aktiv nach Blindgängern. Dazu werden Luftbildaufnahmen aus dem 2. Weltkrieg ausgewertet, die die Alliierten kurz nach Abwurf der Bomben machten. Diese Bilder waren bis 1988 noch ein militärisches Geheimnis. Danach konnte das Land die Bilder für 70 Euro pro Stück käuflich erwerben. Von den insgesamt 170000 Aufnahmen von Schleswig Holstein besitzt der KMRD 80000 Stück. Auf diesen Aufnahmen wird nach Löchern mit einem Durchmesser von ein bis zwei Metern gesucht, die auf einen Blindgänger hindeuten. Allerdings erweisen sich nur 10 Prozent der Verdachtsfälle als Treffer. Das liegt daran, dass viele Blindgänger natürlich auch schon in der Kriegszeit beseitigt wurden. Mit Hilfe der Luftbildauswertung konnten 2015 in Wellingdorf gleich vier Bomben auf dem Schulgelände der Theodor-Storm-Gemeinschaftsschule gefunden werden. Eine der Bomben lag in viereinhalb Meter Tiefe, direkt unter einem Klassenzimmer!
Nach mehr als einer Stunde ist das Interview beendet. Ich bin glücklich über die vielen interessanten Informationen die ich erhalten habe, und darüber, dass alle meine Fragen nun beantwortet sind. Ich weiß jetzt, wie wichtig es ist, dass die Blindgänger gefunden werden. Zum einen können sich die Bomben zersetzen, so dass die giftigen Inhaltsstoffe ins Erdreich gelangen. Bei den Bomben mit Langzeitzünder besteht zudem die Gefahr der Selbstdetonation. Dieses passiert in Deutschland im Schnitt tatsächlich einmal im Jahr.
Herr Kinast begleitet mich zum Haupteingang.Leider ist es mir nicht erlaubt Photos auf dem Gelände zu machen.
Wenn ich nun daran denke, dass noch mehrere 100 Blindgänger unter Kieler Boden liegen bin ich sehr froh, dass es Menschen wie Herrn Kinast gibt, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diese Blindgänger zu finden, um uns zu schützen und sich selber dabei in große Gefahr begeben.

Hannes Schäfer, Gymnasium Altenholz, 9a

 
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