Als Pilot gestartet, als Anästhesist gelandet

Linn Grossmann Gymnasium Lütjenburg 19. November 2020 1 Kommentar(e)

 

 Als Pilot gestartet, als Anästhesist gelandet!

Was haben Piloten und Anästesisten eigentlich gemeinsam?

Im Interview heute Dr. med. U. Großmann Facharzt für Anästhesie, Intensivmedizin und Notfallmedizin, leitender Notarzt und leitender Anästhesist der Klinik Manhagen, Großhansdorf, und Geschäftsführer der Anästhesie professional GmbH. Wir erfahren heute von ihm, was der Pilot und der Anästhesist gemeinsam haben und wie er trotz seines Kindheitswunsches Pilot zu werden, dann doch in der Medizin gelandet ist.

Wollten Sie schon immer Arzt werden?

Nein, ich hätte alles werden können, mein Vater war Schiffsingenieur, ich interessierte mich für Technik, Fliegen und Medizin. Am liebsten wollte ich aber Pilot werden.

Woran ist das gescheitert?

Nach meinem Abitur habe ich einen Flugschein für Segelflugzeuge gemacht und mich dann als Pilot bei der Lufthansa beworben, allerdings habe ich dort das Auswahlverfahren nicht bestanden; somit habe ich mich dann dazu entschlossen, ein Medizinstudium zu machen, denn auch hier befasst man sich mit Biologie, Physik, Chemie und ich wollte immer wissen, wie so ein Mensch eigentlich funktioniert.

Warum haben Sie sich dann gerade für die Anästhesie entschieden?

Nach dem Grundstudium war die Anästhesie das Fach, was Naturwissenschaften und Technik mit der Medizin verbindet. Anästhesie ist ein sehr technisches Fach, in dem durch den Einsatz von hochspezialisierten Geräten wichtige Organfunktion des Menschen künstlich ersetzt werden können und das ist am Ende dann sogar ein bisschen wie fliegen.

Was hat die Anästhesie denn mit der Fliegerei zu tun?

Wie die Piloten vor dem Abflug ein Briefing abhalten, checken auch wir unsere Abflugdaten wie Patientengewicht, Labordaten, wählen die Flugroute, also das Narkoseverfahren, und prüfen natürlich, ob spezifische Risiken auf uns zukommen, so wie ein Unwetter während eines Fluges. Im Übrigen haben wir das Abarbeiten von Checklisten gerade in den letzten Jahren aus der Luftfahrt übernommen und in der operativen Medizin etabliert.

Beim Fliegen sagt man ja bekanntlich, Start und Landung seien das Gefährlichste; ist das auch bei einer Narkose so?

Ja, tatsächlich sind die Narkoseeinleitung und die Narkoseausleitung die sensiblen Flugphasen der Anästhesie. Mit der Narkoseeinleitung setzen wir lebenswichtige Funktionen des Körpers wie das Bewusstsein und die Atmung außer Kraft und müssen mit den richtigen Maßnahmen diese Funktionen überwachen und erhalten.

Kann man denn sozusagen „Abstürzen", also somit sterben oder Schäden davontragen, wenn das nicht gelingt?

Obwohl heutzutage eine Narkose durch den technischen Fortschritt und durch gut verträgliche Medikamente sehr sicher geworden ist, besteht wie in der Fliegerei immer eine Restgefahr für Fehler und Komplikationen. Dies kann seine Ursache im Patienten haben, der vielleicht schwere Herz- oder Lungenerkrankungen schon mitbringt, starkes Übergewicht hat oder schwer verunfallt ist. Diese Patienten haben ein erhöhtes Narkoserisiko. Genauso können aber auch technische Fehler oder menschliches Versagen Ursache für Gefahren während der Narkose sein.

Was könnten das für Fehler sein?

Ein Arzt könnte besonders in Stresssituationen Geräte falsch bedienen oder Medikamente verwechseln, was in der Anästhesie schwerwiegenden Folgen haben kann. Auch gerade deshalb haben wir in der Medizin ein Meldesystem ebenfalls aus der Luftfahrt übernommen, das CIRS (Critical Incident Reporting System) genannt wird. CIRS ist ein anonymisiertes Meldesystem für kritische Situationen, in den Etwas fehlerhaft gelaufen ist oder zumindest fehlerhaft hätte laufen können. Solche Situationen werden dann analysiert, um Fehler zu beheben, bevor Zwischenfälle entstehen und so dann das Fliegen beziehungsweise die Narkose sicherer zu machen.

Wie hoch ist denn heute das Risiko eines „Absturzes", also die Gefahr, an einer Narkose zu versterben?

Heutige Narkosen sind sehr sicher geworden. In den Jahren um 1950 starben 6,4 Patienten bei 10.000 Narkosen, heutzutage liegt die Anästhesie bedingte Sterblichkeit bei 0,4/100.000, das heißt bei 1 Million Narkosen sterben 4 Menschen. Ursachen können zum Beispiel allergische Reaktionen auf Medikamente sein, Herzstillstände oder Probleme bei der Beatmung. Das Risiko steigt mit schweren Begleiterkrankungen.

Was macht denn anders herum eine Narkose sicher?

Das Wichtigste ist eine gute Ausbildung. Nach dem Studium dauert die Facharztausbildung zum Facharzt für Anästhesiologie fünf weitere Jahre. In dieser Zeit muss man lernen, Narkosen bei Patienten aller Altersklassen durchzuführen, vom Neugeborenen bis zum 100-jährigen, von der Notgeburt bis zum Unfallpatienten. Es muss insgesamt ein Jahr auf der Intensivstation absolviert werden, wo die Behandlung von Schwerstkranken durchgeführt wird und der Anästhesist lernt Organe wie Herz, Lunge, Niere oder Leber technisch zu ersetzen und deren Systeme zu überwachen. Medikamente, die im Rahmen einer Narkose zur Anwendung kommen, sind heute auf einem Stand, der deren Anwendung sicher, zuverlässig und nebenwirkungsarm macht.

Im Zusammenhang mit der Corona-Epidemie hört man sehr viel von Intensivmedizin und Bettenkapazitäten in der Intensivmedizin. Haben die damit etwas zu tun?

Die intensivmedizinische Behandlung von Corona Patienten ist das Kerngebiet von Anästhesisten und Intensivmedizinern. Diese Patienten mit einer Lungenentzündung oder Lungenversagen brauchen Atemhilfen oder eine anspruchsvolle künstliche Beatmung. Die Sicherung der Atemwege und die Beatmung sind das tägliche Brot des Anästhesisten. Aber auch für Anästhesisten, die nicht in der Intensivmedizin tätig sind, hat sich der Alltag verändert. Durch das Arbeiten am Atemweg des Patienten sind wir einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Wir müssen die Patienten vor jeder Operation auf Symptome screenen und sie gegebenenfalls testen und uns in besonderer Weise mit Schutzbrillen und FFP2-Masken schützen. Dies macht das Arbeiten nicht einfach.

Herr Dr. Großmann, vielen Dank für das Interview, ich wünsche Ihnen allzeit einen guten und sicheren Flug!

 
1 Kommentar(e)
  1. Promedia Maassen
    25. November 2020

    Hallo Linn, ganz lieben Dank für deinen Beitrag. Für uns waren diese Parallelen von Anästhesist und Pilot nie so offensichtlich. WIr finden es toll, wie du dadurch dem Interview nochmal eine ganz neue Dimension und Interssantheit gegeben hast. Besonders gut gelungen ist auch schon deine Schlagzeile, die direkt die Neugierde weckt, weil sich zuerst der Zusammemhang nicht direkt erschließt.

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