"Mit Rap kann man alle erreichen" - Interview

Johann Hiss, Klasse 8a, Ricarda-Huch-Schule Kiel 16. November 2020

Interview mit Danny Future, Mitarbeiter im Jugendbüro Kiel Mettenhof des Christlichen Vereins zur Förderung sozialer Initiativen in Kiel e.V. und selbst Rapper zur Bedeutung der Rap-Kultur

Danny Future, glauben Sie, dass Drogen nehmen oder andere explizite Dinge in Raptexten eher auf biographische Erlebnisse zurückführen oder weil es eine Art Haltung im Rap-Leben ist?
Das ist eindeutig biographisch belegbar. Ich glaube, wenn man dazu Stellung bezieht, dann entweder, weil man damit Erfahrungen gemacht hat oder weil man auf das Thema Drogen aufmerksam machen will, obwohl man selber keine konsumiert.

Wie ist das bei anderen illegalen Dingen wie zum Beispiel Bankraub?
Das ist jetzt ein bisschen anders als bei Drogen, wo die Leute eigene Erfahrungen gemacht haben, wenn es jetzt um Banküberfälle geht, glaube ich eher, es ist etwas Fiktives. Ich glaube auch, bei anderen kriminellen Dingen geben Leute sich selbst ein Image, welches sie gar nicht verkörpern. Das ist eher so ein Mittel zum Zweck, damit sie vielleicht Aufmerksamkeit bekommen oder weil man weiß, dass das bei manchen Leuten gut ankommt, wenn man so tut als täte man sowas.

Wie werden Rapper denn grundsätzlich entdeckt? Kommt das Label zu ihnen, oder sie zum Label?
Als erstes bräuchte man ja irgendetwas, um auf sich aufmerksam zu machen. Und ich würde sagen, der erste Schritt liegt dann beim Künstler. Und ich muss wirklich sagen, YouTube und Soundcloud sind ja die Orte, um heutzutage entdeckt zu werden. Und dann gibt es natürlich noch Leute, die darüber hinaus noch ganz gezielt verschiedene Labels anschreiben. Es gibt halt Leute, die versuchen das selbst in die Hand zu nehmen, und die melden sich bei allen, die im Musikgeschäft sind. Wenn man sich selbst produziert und ein bisschen Erfolg hat, meldet sich dann auch ein Label.

Der Kieler Rapper Sarhad meinte in einem seiner Songs „Mein Ziel kein Mercedes, kein Mercedes-Benz, sondern dass ich es irgendwie rausschaff". Würde das bei Jugendlichen auch einen Nerv treffen?
Ja bestimmt, das ist schon ein Klischee, ich bin jetzt zwar nicht Sarhad und weiß nicht, was er mit „hier rausschaff" meint. Er verfolgt dann bestimmt schon Ziele, die ihn irgendwo hinbringen sollen, und es kommt auch darauf an, wie er das sagt. Das könnte irgend so ein Lauch sagen, und dann hören die Jugendlichen das und es trifft dann halt keinen Nerv, aber wenn er das sagt und authentisch herüberbringt, kann es schon auch einen Nerv treffen.

Wenn Sie mit Jugendlichen Rap-Texte schreiben, was beschäftigt Jugendliche am meisten und wie gehen Sie beim Schreiben vor?
Also sehr stark geprägt ist das natürlich von Trends und was in den Medien ist. Aktuelles wird thematisch behandelt, und es gibt natürlich auch immer wiederkehrende Muster, wie zum Beispiel Sexualität. Die meisten Menschen orientieren sich dann sehr an ihren Vorbildern, sowohl vom Sound als auch von der Stimmlage her. Ich glaube, wenn man seinen Text schreibt, hat man auch ein Bild im Kopf, wie man rappen möchte. Für die einen ist das halt eine politische Aussage machen, für die anderen dann eher Spaß. Natürlich gibt es auch Leute, die dann nur Erfolg im Kopf haben und die Leute, die denken, dass sowas einfach gut ankommt. Das sind ja einfach nur Herangehensweisen.

Sind Jugendliche eher an Deutschrap oder an American Rap interessiert?
Also Deutschrap hat schon viel, meiner Meinung nach und es werden immer mehr Deutschrapper. Also kann man sich da seine Nische heraussuchen. Aber auch American Rap stirbt nicht aus, die Leute feiern das immer noch, allerdings ist es ja so, dass man bei deutschen Texten einfacher mitrappen kann, weil die meisten besser Deutsch als Englisch können, deswegen ist Deutschrap zurzeit auch so präsent.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Deutschrap und American Rap? Meinen Sie, es sind zwei verschiedene Welten, oder sind sie sich ebenbürtig?
Technisch gesehen gibt es in beiden Ländern schon Meister. Aber inhaltlich, was vor allem Trendsetten angeht, kommt das meiste aus Amerika zum Beispiel sehr stark mit Cloudrap. Alles ,was mit Klamotten zu tun hat, so wie Prada, Gucci ist hier ja total gut angekommen und kam auch aus den Staaten und viele hören sich inzwischen so an wie A$AP Rocky, die Migos und Future. Rap ist in Amerika ja zehnmal größer als hier in Deutschland, auch schon zu Zeiten von Ice Cube und NWA. Die Deutschen haben ja schon immer herübergeschaut, also kann man das nicht getrennt voneinander sehen. Beide Rap-„Arten" haben schon was eigenes, aber natürlich hängen die schon zusammen.

Sie meinten gerade, dass schon in Zeiten von Ice Cube und NWA herübergeschaut wurde. Wann fing Deutschrap denn so ungefähr an?
Also „Deutsch"-Rap war das noch nicht, aber ich weiß, dass in den 1980ern Deutsche waren, die auf Englisch gerappt haben. Ungefähr 1983 würde ich jetzt sagen. Und wer war der erste, der das ins Rollen gebracht hat?
Also Torch war einer der ersten, der auf Deutsch gerappt hat, Advanced Chemistry war seine Band. Es gibt hier auch aus Kiel eine legendäre Rapperin, Cora E. Es gibt viele, die danach kamen und auch noch mitgemacht haben wie Dendemann, der auch schon ewig dabei ist, genauso wie Konkret Finn und Kool Savas. Und dann kamen irgendwann die Berliner Rapper so wie Bushido.

Denken Sie, Deutschrap hat sich eher ins Positive oder ins Negative entwickelt?
Es hat sich auf jeden Fall stark verändert, weil es früher eine Art Hip-Hop Kultur war, in dem Sinne, dass sich alle bei Jams getroffen haben, wo es dann Breakdance, Graffiti, DJ-ing und Rap-Musik gab. Heutzutage fahren sie halt alle ihre eigene Schiene und drehen ihr eigenes Ding und höchstens ist dann mal ein Breaker im Video zu sehen, aber mehr dann auch nicht. Was ich finde, was sich negativ entwickelt hat, ist, dass es viel mehr oberflächliche Musik gibt, die Texte sind austauschbar und die Künstler ähneln sich viel zu stark, was vor allem daran liegt, dass es so viele gibt. Das ist allerdings auch ein Vorteil, weil jeder, der sich ein gutes Mic leisten kann, könnte auch schon qualitativ rappen. Ich finde es aber auch gut, dass die Auswahl viel größer ist, obwohl einem auch ziemlich viel Schlechtes über den Weg läuft. Mit dem Oberflächlichen meine ich halt, dass es immer einfach ist, über „Bitches" zu rappen und sich solche Geschichten auszudenken, die man schon tausendmal gehört hat. Und diese innovativen Leute, die versuchen, was Neues mit Sound zu machen, die gehen dann schnell unter. Vor allem Videos beeinflussen das Rap-Geschäft heutzutage. Wenn man kein cooles Video hat, kann sich ein Song auch gar nicht durchsetzen, und da sehe ich auch ein Problem, weil Leute halt durch gewisse Mechanismen getriggert werden, wie zum Beispiel nackte Frauen, oder wenn mit irgendwelchen Drogen hantiert wird. Das sorgt halt schon für Aufmerksamkeit.

Wer ist ihrer Meinung nach der deutsche Rap-Gott?
Das ist schon schwierig. Aber ich würde sagen vielleicht SSIO. Ich habe früher mit Sido angefangen, aber jetzt muss ich sagen, dass der doch nicht so gut war.

Produzieren Sie erst den Beat oder schreiben Sie erst den Text?
Meistens erst den Beat, dann den Text, aber manchmal auch andersrum. Ehrlich gesagt geht ohne fetten Beat gar nichts, manchmal reicht das sogar schon als Rapper. Andersrum: Wenn der Beat Scheiße ist, hören sich die Leute das eher ungern an.

Wie gehen Sie beim Schreiben vor und wo suchen Sie sich Inspiration?
Also, ich mache ja auch meine eigenen Beats und das kommt dann auf die Stimmung dazu an. Ich singe mir dann die Melodie vor und daraus leite ich mir dann den Text ab. Es ist schon das Gefühl, was ich dann habe, wenn ich den Beat höre. Ich hab zum Beispiel dann mit Freunden zum Thema Waldbrände in Australien und Brasilien etwas geschrieben, weil ich dachte, dass die Welt darauf aufmerksam gemacht werden sollte. Wenn Angela Merkel dann nicht mehr Bundeskanzlerin sein sollte, würden wir dazu auch etwas schreiben. Es ist also immer relativ spontan, was wir schreiben, aber dann doch beeinflusst von dem, was gerade in der Welt los ist.

Meinen Sie, Rap hat eine große Reichweite, oder sind es eher die Außenstehenden, die Rap hören?
Ich würde schon sagen, dass es eine große Reichweite hat, das kommt natürlich darauf an, was man für Rap macht. Eminem zum Beispiel, der ist überall hingekommen, in jeden Haushalt. Oder auch Sido, würde ich sagen, man kann ja ein bisschen „poppiger" werden. Und wenn man jetzt nicht allzu viele Schimpfwörter benutzt und keine bestimmten Dinge sagt, dann könnten das auch die Eltern mithören. Mit Rap kann man wirklich alle erreichen.

Gibt es heutzutage noch Hip-Hop-Jams oder „eingeschworene" Hip-Hop-Kreise?
Ja ich glaube schon, dass es noch Leute gibt, denen es wichtig ist, dass sie so ein Gesamtpaket abliefern. Es gibt bestimmt noch Leute, die sich fürs Breaken, für Graffiti oder DJing interessieren, aber früher war das schon ein eingeschworener Kern und jetzt gibt es vielleicht einen kleinen Kern und daneben noch tausende andere Dinge. Ich weiß noch, dass Kollegah in einem seiner Tracks Graffiti lächerlich gemacht hat. Ich glaube, viele Leute kennen den Unterschied zwischen Hip-Hop und Rap gar nicht mehr. Viele Rapper werden Breakdance feiern und auch Graffiti, aber machen es halt selber nicht.

Vielen Dank für das Interview.


Erläuterungen:
• Hip-Hop: Rapmusik, Breakdancen, Graffiti sprühen und DJing.
• Cloudrap: Auch Mumble-Rap genannt, Rap, der nur aus einzelnen genuschelten Wörtern besteht, genannt Cloudrap weil solche Musik auf Soundcloud hochgeladen wird
• Sarhad: Kieler Rapper, bekannt für seinen Song „Sinne", 10 Millionen YouTube-Klicks
• Torch: Sänger der Band Advanced Chemistry, brachte erstmals Deutschrap auf
• Advanced Chemistry: Heidelberger Hip-Hop Band
• Cora E.: Kieler Rapperin, Mitgründerin des deutschen Hip-Hop
• Konkret Finn: Rapper aus Frankfurt
• Dendemann: Rapper aus Berlin, trat von 2015 bis 2016 im Neo-Magazin-Royale vom ZDF auf
• Kool Savas: Rapper aus Berlin, brachte Gangsta-Rap nach Deutschland
• A$AP Rocky: Mumble-Rapper aus den USA
• The Migos: Mumble Rap Trio aus den USA
• Future: Mumble-Rapper aus den USA
• NWA: auch "Niggaz with Attitudes", Väter des Gangsta-Rap
• ICE Cube: Berühmter Rapper von NWA

 
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