Die Flucht und die Fluchtursache belasten einen Menschen in der Regel nachvollziehbar, teils psychisch, teils körperlich. Oft hinterlässt dies schwere psychische Folgeerkrankungen (Depression, Angsterkrankung, Posttraumatische Belastungsstörung). Aber was ist, wenn nach vielleicht zwei bis drei Jahren Asylverfahren der Antrag abgelehnt wird? Mit genau dieser Frage beschäftigt sich Solveigh Deutschmann von der Diakonie Schleswig-Holstein. Ihre Berufskennzeichnung nennt sich Perspektiv- und Rückkehrberatung.
Sie ist in den 90er Jahren mit Kollegen nach Bosnien-Herzegowina aufgebrochen und hat gemeinnützige Vereine gegründet und den Krieg „live" miterlebt und weiß somit aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, in einem Kriegsgebiet zu leben.
Heute kommen Flüchtlinge in großer Not in ihre Beratung. Wenn ein Flüchtling mit einem abgelehnten Asylantrag zu ihr kommt „ist der erste Impuls des Menschen mit einer großen Angst, aufgrund der Ablehnung, verbunden, weil die Menschen hierhergekommen sind, um Schutz zu suchen." Sie hatten damals Angst vor Krankheiten, dem Sterben, mangelnder medizinischer Versorgung, Gewalt, Folter, Vergewaltigung und vor wirtschaftlichen Einbußen und diese Angst kehrt in diesem Moment wieder zurück. Danach kommt langsam auch das Gefühl der Verzweiflung auf. Niemand wird gerne abgewiesen. Weil die Flüchtlinge es nicht verstehen und es persönlich nehmen, „wieso genau ich", „was habe ich falsch gemacht". Doch dies ist im Gesetz Deutschlands festgesetzt. Außerdem meint Solveigh Deutschmann, dass es gewisse Länder gibt, wo eine Ablehnung vorhergesehen ist wie der Westbalkan, welcher als sicheres Herkunftsland betitelt ist.
Ein weiteres enormes Problem sind die Minderheiten. Wenn es Menschen aus Drittstaaten sind, wird nochmals genauer hingeschaut, und wenn sie zum Beispiel aus dem Westbalkan kommen, haben sie kaum eine Chance. Auch gerade Sinti und Roma, zwei Minderheiten in Europa, haben keine Chance auf einen erfolgreichen Asylantrag und bleiben gleich vor Ort. Auf die Frage, ob Frau Deutschmann dies moralisch vertretbar findet, antwortete sie klar und deutlich mit: „nein". 2019 war sie selbst im Westbalkan unterwegs und hat sich dort mit dem Leben von Minderheiten beschäftigt und fand die Realität nicht schön: „Genau wie im Internet sieht man dort Menschen der Minderheiten auf den Feldern lebend.
Und wie geht es nun weiter, wenn ein solcher Mensch zu ihnen kommt? „Wir versuchen zusammen die bestmögliche Lösung zu finden, manchmal kann man „die freiwillige Ausreise vor einer Abschiebung geltend machen".
Menschen, die zurück gehen müssen, kriegen in ganz Europa Geld für die freiwillige Rückkehr. Dies gilt aber nur für Menschen, die in ihre Ursprungsländer zurückkehren, welche nicht in Europa liegen. Dieses Geld ist ein sogenanntes Rückkehrprojekt von der internationalen Organisation für Migration (IOM). Einerseits sind dies Sachleistungen aber auch finanzielle Unterstützungen, damit die Integration ins Heimatland gewährleistet wird. Außerdem ist eine Abschiebung sehr teuer und deshalb wird mithilfe des Geldes die Freiwilligkeit gefördert. Was die Öffentlichkeit dabei nicht sieht, ist, dass bei Wiedereinreise diese Förderung zurückgezahlt werden muss, das heißt, der Mensch hat dann Schulden. Dieses System wird von der Öffentlichkeit auch hinterfragt: „Wieso gehen die Flüchtlinge nicht nach Hause, sie kriegen ja Geld dafür?" Was dabei nicht bedacht wird, ist der Fluchtgrund, welcher selten durch Geld behoben werden kann (Krieg, psychische, körperliche und sexuelle Gewalt).
Können auch nur einzelne Familienmitglieder nach einem negativen (abgelehnten) Asylantrag zur Ausreise aus Deutschland gezwungen werden? „Ja"! Manchmal gelingt es einem Kind, das minderjährig mit den Eltern eingereist ist und mit ihnen einen Asylantrag gestellt hat, sich so gut zu integrieren, dass es sich mit der Volljährigkeit aus der Kernfamilie löst. Dadurch hat es die Möglichkeit, durch einen speziellen Paragrafen in Deutschland zu bleiben, auch wenn die Eltern "ausgeschafft" werden.
Asylantrag abgelehnt heißt nicht gleich Asylantrag abgelehnt. Oftmals ist es auch so, dass man nur in sein Erst-Einreiseland zurückgewiesen wird, nach der Europäischen Dublinverordnung. Hier wird aber ein Unterschied zwischen Familien und allein flüchtenden Personen gemacht. Doch auch bei der Rücküberstellung – so nennt man dieses Verfahren – ist äußerste Vorsicht geboten, da es Länder gibt, bei denen die Umstände schlecht und schwierig sind. Was in Europa für Ungarn, Bulgarien, Griechenland und Italien zutrifft. Hier wird dann oftmals zwischen Männer und Frauen unterschieden, denn für die Männer soll es zumutbarer sein, in diesen Ländern zu leben. Solveigh Deutschmann findet das eine sehr schwierige Aussage, aber es ist nun mal so, dass Frauen es einfach schwieriger haben, erstens den Fluchtweg zu bewältigen und sich zweitens in schwierigeren Ländern durchzukämpfen (Schlagwort: sexuelle Gewalt).
Vielleicht haben Sie auch schon mal gehört, dass es anscheinend hier im Norden einfacher sein soll, eine Aufenthaltsbewilligung zu bekommen? Hierzu erläutert Frau Deutschmann: „Nein, das Gesetzt ist bundesweit das Gleiche, aber zum Beispiel hat Schleswig-Holstein nach der Machtübernahme der Taliban im September ein kurzes Aufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan erstellt.
Wohlfahrtsverbände, wie zum Beispiel die Diakonie, finden Abschiebung einen Verlust der Menschenwürde. Wenn es nun für einen Flüchtling heißt "Asylantrag abgelehnt", kommen viele zur Perspektiv- und Rückkehrberatung der Diakonie bei Solveigh Deutschmann und lassen sich über die verbleibenden Optionen beraten. Das für einen abgelehnten Flüchtling die Welt „zusammenbricht" ist wohl klar und nachvollziehbar und dies ist auch schwer zu ändern, aber genau diese Situation so angenehm wie möglich zu machen, hilft den Geflüchteten ihre Situation auf psychischer Ebene besser zu begreifen und hilft uns Deutschen/Westeuropäern den Abschied mit einer letzten Geste von "Menschlichkeit" zu gestalten.
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