Eine Schlagzeile bleibt...

Tessa Schüler, 8b, Dahlmannschule 14. November 2021
Kapitän Hartwig Schröder zeigt die Stelle, an der sich das kleine Loch in der Bordwand der Pippilotta befand ©

Eine Schlagzeile bleibt...
Und wie definiert man Seenot?

Plant man eine Reise, informiert man sich meist vorher über Land und Leute. Soll diese Reise auf einem Schiff stattfinden, informiert man sich – genau – vorher über das entsprechende Schiff.
Unsere Klassereise sollte im September 2021 stattfinden. Es war geplant, mit dem Dreimaster Pippilotta durch die Ostsee zu segeln und jeden Abend einen anderen Hafen einer dänischen Insel anzusteuern.
Neugierig habe ich vorab alles über die Pippilotta gegoogelt, was zu finden ist. Vom Aufbau des Schiffes, technische Fakten und so weiter. Doch dann bin ich auf einen Artikel des „Spiegel" vom 1. Juli 2017 gestoßen, der sehr viele Fragen aufwarf. Darin ging es nämlich um ein Schiffsunglück der Pippilotta. Der „Spiegel" hat sich auf Auszüge aus dem Buch „Mayday, Seenotretter über ihre Einsätze" berufen.
Ein Mitarbeiter des Seenotrettungsdienstes hat dort sehr detailliert sein aufregendstes Erlebnis auf See beschrieben. Dieses fand in einer Septembernacht 1995 statt. Bei unruhiger See fuhr das Seenotrettungsschiff mehrere Einsätze. Gerade waren die Männer dabei, eine Jacht abzuschleppen, als das Funkgerät meldete, dass die Pippilotta Hilfe bräuchte. Mit dramatischten Worten wie „drastisch verschlimmerte Lage" und „Zuflucht suchende Schüler mit ängstlichen Augen" hat der Mitarbeiter die Rettungsaktion beschrieben. Bis zum Ende, wo die Pippilotta dann mit – wie der Seenotretter meinte – „großem Loch in der Bordwand" samt dehydrierten Kindern am Pier von Rettungswagen empfangen wurden.

Das klang erstmal abschreckend und ein wenig mulmig war mir dann schon kurz. Aber auf unserer Klassenreise hatten wir die Gelegenheit, mit dem Kapitän der Pippilotta, Hartwig Schröder, darüber zu sprechen, wie die Nacht aus seiner Sicht ausgesehen hat.
Und das hörte sich schon ganz anders an. Wir saßen mit Hartwig zusammen und hörten uns eine Version der Geschichte an. Man bekommt das Gefühl, dass es erst vor kurzem und nicht vor 22 Jahren stattfand.
Er erinnert sich an diese Nacht im Oktober, in der abends schon starker Wind war und die See tobte. Der Motor des Schiffes kam nicht dagegen an, so dass er den Seenotrettungsdienst um Hilfe bat. Er betont wieder, dass es eine Bitte um Hilfe war. Kein Seenotruf. Die Pippilotta brauchte Hilfe um in den Hafen gezogen zu werden. Der Seenotrettungsdienst war noch mit der „Bergung" einer Jacht befasst und wollte sich dann auf den Weg machen. Insoweit deckt sich auch die Geschichte mit der des Helfers vom Rettungsdienst. Hartwig schickte also seinen jungen Mechaniker nach unten, um sich den Motor anzuschauen. Kurz danach ging der Motor ganz aus und der Dreimaster schaukelte immer doller. Die Schüler und Lehrer waren seekrank und, wie Hartwig sich ausdrückte: „Kotzten vor sich hin". Er berichtet von der Rettungsaktion und dass es aufgrund der Wetterlage Probleme mit der Schleppleine gab. Außerdem war den Kindern kalt und durch nicht geschlossene Fenster war alles nass. Aber sie befanden sich nicht in Seenot. Wieder dieser ausdrückliche Hinweis auf die Interpretation des Wortes.

Hartwig hat sich intensiv mit den Berichten über die Pippilotta auseinandergesetzt. Er hat Kontakt mit den Autoren aufgenommen und beklagt, dass nicht genau recherchiert wurde. Auch, dass der Helfer von der Seenotrettung wohl bekanntermaßen zu Übertreibungen neige. Aber das nützt natürlich alles nichts mehr, denn die Worte stehen und sind für jeden nachlesbar. So kommt es dann auch, dass Menschen, die das alles nicht hinterfragen, alles glauben, was sie lesen. Auch aufgebauschte Geschichten. Er klingt dabei ein wenig resigniert, als er darauf hinweist, dass Zeitschriften in ihren Sommerlöchern nach Storys suchen, und sie dann sensationell aufbauen. Ihm liegt nicht mehr viel an einer Richtigstellung. Dazu ist es jetzt zu spät. Aber er betont nochmal, dass ein kaputter Motor und nasse Kinder, die nicht verletzt sind, kein Grund für einen Seenotruf sind. Das Motorproblem war übrigens am nächsten Tag behoben, das – wie Hartwig meinte - „daumengroße Loch an der Bordwand" repariert und die Pippilotta stach wieder in See.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal zusammenfassen, wie der Kaptän Seenot definiert:
„Seenot ist die unmittelbare Gefahr eines Schiffes vor dem Untergang oder bei Bränden oder Piratenüberfällen und die unmittelbare Lebensgefahr für Menschen auf dem Schiff. Wenn er also kurz davor ist, zu ertrinken oder durch eine Verletzung zu sterben. Und weil das so eine ernste Situation ist, in der man sich nicht mehr selbst helfen kann, fragt man andere. Man gibt ein Seenotnotsignal ab. Und alle Schiffe, die das hören – insbesondere die Seenotzentrale – müssen sofort mit allem was sie können, dorthin eilen und helfen."

Gottseidank sind wir auf unserer Klassenreise in keinen Notfall oder eine brenzlige Situation geraten. Bei bestem Wetter sind wir gesund und munter, um viele Segelkenntnisse und Erfahrungen reicher, wieder im Hafen von Kappeln angekommen.
Nicht zuletzt dank des erfahrenen Kapitäns Hartwig Schröder und seiner tollen Crew.

 
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